Samstag, 8. Mai 2004
Oberbürgermeisterin Russ-Scherer konnte den Besuch geretteter Tübinger Juden nicht verhindern und blamierte Tübingen beim Empfang im Rathaus

Die Tübinger Oberbürgermeisterin Russ-Scherer versuchte zuletzt mit der Forderung nach einer 50-Prozent Finanzierung durch Sponsoren die Einladung an die letzten überlebenden jüdischen Tübinger Bürger auzubremsen.

Schon für den letzten Herbst sollten die wenigen Tübinger Juden, die den Holocaust überlebt haben, nach Tübingen eingeladen werden. Die Oberbürgermeisterin hat sich jedoch gewehrt. Sie bestand darauf, dass die Hälfte der Kosten von Sponsoren getragen werden muss. Einige Anträge und Anfragen der AL und der TÜL/PDS-Fraktion waren nötig, damit sie nachgab und die Einladung doch noch zustande kam. Eisenhart bestand Russ-Scherer lange Zeit darauf, dass 10 000 Euro zuerst von Sponsoren auf den Tisch zu legen seien. Windelweich jedoch behandelt sie den Sponsorenbeitrag bei der TüArena. 2 Millionen Spenden stehen als Luftnummer seit zwei Jahren im Stadthaushalt, obwohl bisher nur 100 000 Euro gesammelt sind. Ein Drittel der TüArena sollen Sponsoren aufbringen und die Kosten liegen jetzt nicht mehr bei 6 Millionen, sondern bei 9 Millionen Euro. Es müssen also noch 2,9 Millionen Euro Sponsorengelder fließen. Da drückt die Oberbürgermeisterin beide Augen zu. Mit schneidender Stimme hatte sie jedoch vor Jahren schon versucht, eine Entschädigung der Tübinger Zwangsarbeiter in Höhe von 5000 DM abzuwehren: Da könne ja jeder kommen und 5000 DM kassieren. Stadtrat Brenner bekam damals für seinen Antrag im Verwaltungsausschuss die Zustimmung der bürgerlichen Fraktionen. Um sich nicht ganz lächerlich zu machen, musste dann auch die AL, die SPD und ihre Oberbürgermeisterin zustimmen. Zu mehr Menschlichkeit muss man Madame Russ-Scherer zwingen.
Das Schwäbische Tagblatt berichtete am 8. Mai 2004 über den Besuch der ehemaligen jüdischen Mitbürger:

"Zum vierten Mal hat nun die Stadt Tübingen ehemalige hiesige Bürger eingeladen, die sich durch Flucht vor der Verfolgung der Nazis retteten. Aus gesundheitlichen Gründen konnten sich nicht mehr alle, die noch leben, auf den weiten Weg nach Deutschland machen. Zehn Frauen und Männer im Alter zwischen 71 und 84 Jahren sind teils in Begleitung von Ehepartnern und Söhnen oder Töchtern, in Tübingen eingetroffen. Die erste Begegnung dieser Art fand 1981 statt, weitere offizielle Einladungen folgten 1984 und 1995. Anlass für den jetzigen Besuch ist die Premiere des Dokumentarfilms "Wege der Tübinger Juden . Eine Spurensuche", die am morgigen Sonntag um 15 Uhr im Kino 1 im Museum stattfindet. Wie berichtet, basiert er auf Interviews, die Mitglieder der Geschichtswerkstatt mit acht Überlebenden des Holocausts großteils in deren neuer Heimat aufgenommen haben. Zum Auftakt des einwöchigen Besuchs begrüßte Erster Bürgermeister Gerd Weimer die Gäste gestern Morgen im Öhrn des Rathauses."

Am Sonntag, dem 9. Mai 2004 fand dann die beeindruckende Premiere des Filmes statt. Der anschließende Empfang im Rathaus schrammte dann jedoch knapp an einem Eklat vorbei. Zuerst nervte die Oberbürgermeisterin die angereisten jüdischen Mitbürger, die knapp der Vernichtung entkommen waren, mit deutscher Opfer-Befindlichkeit. Ein ellenlanges Zitat berichtete von Erlebnissen arisch-deutscher Jugendlicher in Bombennächten. Professor Kuschel mit seinem Weltethos-Bauchladen setzte dann noch eins drauf und las den Juden die Leviten mit einem Geschwafel über den Palästina-Konflikt. Eine angereiste Überlebende hielt es gar nicht mehr aus und ging vor die Tür. Was sie dort zusammen mit einer jüdischen Studentin und Jens Rüggeberg besprach, war wenig schmeichelhaft für Brigitte Russ-Scherer. Man sah es den Gästen aus Israel, Portugal und den USA an, dass sie nur aus alter Verbundenheit mit dem anwesenden früheren Oberbürgermeister von Format, Dr. Eugen Schmid, auf deutlichere Unwillensbekundungen verzichteten.