Donnerstag, 13. Januar 2005
Leserbrief: Hartzige Weihnachten
Schwäbisches Tagblatt, 24. Dez. 2004

Wunderschöne Wintertage jetzt um den 4. Advent. Doch es fehlt so sehr herzerwärmende Beschaulichkeit, die sich auch nicht mit dem an den Haaren herbeigezogenen „historischen Markt“ einstellen kann. Es ist kalt geworden in Deutschland. Durch den deformierten „Sozialstaat“ pfeift ein eisiger Wind. Es ist die soziale Kälte, die den Menschen in der einst lobgepriesenen Bundesrepublik Deutschland zu schaffen macht. Die Angst um den Arbeitsplatz, um die nackte Existenz überhaupt, kann mit „Oh du fröhliche, gnadenbringende Weihnachtszeit“ nicht weggesungen werden.

Was wir brauchen zu Weihnachten und fürs neue Jahr ist der Zusammenschluss zu Solidargemeinschaften, die sich gegen den Sozialraub zur Wehr setzen. Ja, auch die 18. Montagsdemo am 20. Dezember in Tübingen, mit den an Ausdauer nicht zu überbietenden Teilnehmern, hat es wieder gezeigt: Sich nicht gegeneinander ausspielen lassen – Solidarität ist das beste Mittel gegen das Wegmobben. Der Kampf um den Erhalt jedes Arbeitsplatzes geht uns alle an. Nicht nur mitfühlen mit den Armutsbetroffenen, mit ihnen gemeinsam soziale Ungerechtigkeit bekämpfen – das muss die Weihnachtsbotschaft sein.

Die Menschen brauchen keine „Zusatzjobs“, sondern Arbeitsplätze, die nach Tarif zu bezahlen sind, von denen man leben kann. Es ist schon eine Unverfrorenheit ohnegleichen, dass die Stadt nun entgegen den TüL/PDS-Anträgen mit dem Unsegen des Gemeinderats „Zusatzjobs“ für Hartz IV-Geschädigte schaffen will, in Bereichen, in denen das mal ganz normale, reguläre Arbeitsverhältnisse waren: Bei der Stadtbücherei, im Stadtmuseum, auf den Friedhöfen, im internen Dienst und so weiter.

Außer uns vier Stadträten der Tübinger Linken haben noch drei aus der AL-Fraktion die Courage aufgebracht, mit uns gegen diese Ausbeuterei zu stimmen. Denn die SPD muss ja hier mitsamt den Grünen unten um- und durchsetzen, was oben im Reichstag an Hartzer Käse zusammengematscht wurde; auf Drängen der Unternehmerverbände, die unser Land regieren. Mit dem Einverleiben der DDR machen die jetzt für ihre Profite jede Unverschämtheit. Ihre Pappkameraden in Bund und den Ländern sind zuverlässig. Also „frohe Weihnachten“. Fragt sich nur für wen: unten oder oben?

Gerhard Bialas, Stadt- und Kreisrat der TÜL/PDS, Tübingen, Weißdornweg 11