Donnerstag, 3. Juni 2004
13 Lokalzeitungs-Kommentare von Stadtrat Anton Brenner in den Jahren 2000 bis 2004
abrenner, 16:26h
In der Tübinger Lokalzeitung "Schwäbisches Tagblatt" schreiben jeden Mittwoch abwechselnd Vertreter der Rathausparteien, der Verwaltung und des Jugendgemeinderats zu kommunalpolitischen Themen einen Kommentar. Die Mittwochspalte. Jede 10. Woche ist die Tübinger Linke / PDS an der Reihe. Anton Brenner und Gerlinde Strasdeit haben sich abgewechselt. Hier die 13 Mittwochskommentare von Stadtrat Anton Brenner:
Nr.1: 1.4.2000 Mittwochspalte:
Pietcongs und Provinz-Savonarolas bevormunden Tübingen
Als wir mit der Oberbürgermeisterin und der WUT für die Reduzierung der Gemeinderatsausschüsse gestimmt haben, wunderten sich die in alten Gewissheiten festgefahrenen Stadträte. Ganz durcheinander kamen sie dann, als wir zusammen mit der UFW, der CDU und den wenigen Kollegen mit gesundem Menschenverstand aus FL und SPD (Hans Schreiber, Renate Wiedemann und Peter Bosch) mit 21 zu 20 Stimmen den seit Jahren vertrösteten und hingehaltenen Bauherren in der Steinbösstrasse das Bauen ermöglichten. Wir sind nicht im Gemeinderat, um den Bürgern immer neue Beschränkungen aufzuerlegen.
Parkraumbewirtschaftung bis in die Randbezirke bringt die Tübinger bis zur Weißglut. Es reicht allmählich. Kommunalpolitik wird mit kleinlicher Schikane gleichgesetzt. Auflagen ohne Ende: Aber für den größenwahnsinnigen Schwachsinn an der Blauen Brücke verschenkt die Stadt Millionen. Geschäftsinhaber in der Altstadt kassieren fürs Ausladen einen Strafzettel. Aber für die bonbonfarbene Panzerkaserne des evangelischen Hofarchitekten mit den Klofenstern an der Schokoladenseite werden sämtliche Bestimmungen der Stadtbildsatzung außer Kraft gesetzt.
Dass Industrie und Gewerbe nicht nach Tübingen hereingelassen bzw. verjagt werden, ist alte bildungsbürgerliche Tradition in Tübingen. Die Tübinger Pietisten sorgten immer dafür, daß Geschäftsleute und Kunden in Tübingen nichts zu lachen haben. Keine Partei ist von dieser Grundströmung verschont. Die AL/FL-Grünen jedoch gelten als die Hauptpartei des Tübinger „Pietcong“ (Wehner über Eppler). Wir dagegen wollen, daß es Spaß macht, in Tübingen zu leben, zu arbeiten, zu wohnen, einzukaufen und Geschäfte zu machen. Das Bevormunden überlassen wir den BesserwisserInnen der Tübinger Variante der „Neuen Mitte“.
Es soll sozial zugehen in Tübingen. Wir pfeifen auf die Spendierhosen der Bürgerstiftung und die Bevormundung durch „Kümmerer“, „Mentoren“ und „Mediatoren“. Handwerker, Pedell, Putzfrau und Professor sollen weiter gemeinsam beim „Weinschmied“ hocken und im Stadtfriedhof nebeneinander liegen. Zweiklassenfriedhöfe werden wir ebenso verhindern, wie wir 5-DM Benzin und andere Ökosteuern für unsozial halten. Auch wenn sich der AL-Liebscher grün ärgert, werden wir da weiter mit der „katholischen SPD“ (Möllemann über die CDU) abstimmen.
Was die hasenstallengen Lieblingsprojekte unserer Provinzsavonarolas von Al-grün/FL betrifft: Da heißt es aufpassen, wenn es nicht schon zu spät ist. Die Chancen wachsen, dass aus Hindenburg und Loretto ein gewaltiger Backofen entsteht. Das Ganze ist so gut gemeint, daß es nur schief gehen kann.
Anton Brenner, Tübinger Linke / PDS
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Nr. 2. Mittwochspalte 9.8.2000
Tanz der Vampire im Schlosskeller
Zwischen alter und „neuer Mitte“ fällt uns Sozialisten die Entscheidung oft schwer. Die „alte Mitte“ ist manchmal anständiger, die neuen Besen kehren oft schlechter. Sie jagen die gesamte Verwaltung mit ihrem Bertelsmann-Kommunitarismus in ein gewaltiges Hamsterrad und nennen dies Verwaltungsreform. Nichts wird besser, sozialer oder ökologischer. Der Tübinger Klärschlamm wird nach Sachsen-Anhalt, der Tübinger Straßenkericht 1000 Kilometer in die andere Ecke der Republik verfrachtet. Die Umweltbeauftragte weiß davon nichts, sie macht derweil den Gütlesbesitzern in den Hangzonen das Leben schwer und nennt dies Agenda 2000.
Dabei wäre es die richtige Zeit, Blockaden zu beenden. Die heilige Fledermaus im Schloßkeller verhindert schon viel zu lange jede Besichtigung des gewaltigen Tübinger Fasses, jedes Konzert und jedes Fest im Schloßhof. Wir sollten ihr die Chance zur Umsiedlung in die umliegenden verwilderten Mittelhangzonen geben. Zur Einweihung des Schloss-Hofes könnte ja ein Gastspiel von „Tanz der Vampire“ an die Kulturhoheit der Fledermaus in Tübingen erinnern.
Auch nach der städtischen Pitbulldebatte blockieren Maulkörbe und Beißzwänge die städtische Politik. Warum geht die SPD-Oberbürgermeisterin nicht auf ihren CDU-Wirtschaftsbürgermeister zu, gibt ihm die Hand und versöhnt sich? Von dem Deal „1. Bürgermeister für die SPD“ gegen „Wirtschaftsbürgermeister für die CDU“ erst profitieren und dann auf dem hohen Roß den CDU-Mann rausmobben wollen: Hat die SPD dieses schäbige Spiel nötig?
Höschele und Russ-Scherer sollten ge-meinsam aufpassen, dass ihr Superprojekt „Obere Viehweide“ nicht in die Hose geht. Es ist das letzte dieser Art in Deutschland und das teuerste. Der Bund subventioniert die 10 Hektar schon über den Preisnachlaß mit 10 Millionen. Es wäre doch schade, wenn es am Schluß weniger statt mehr Arbeitsplätze und nur ein paar Zweitfirmen für Professorengattinnen gäbe.
Auch das Spiel „Haust du meinen Investor, hau ich deinen Investor“ wird allmählich langweilig. Könnten King und Blanke, Mühlich und Brugger, Schempp und Riedler nicht zusammensitzen, um nach einer Lösung für die Hinterlassenschaft der AL-Bürgermeisterin Gabriele Steffen an der Blauen Brücke suchen? Das könnte vielleicht das jährliche Defizit des MetropolParkhauses von 1,2 Millionen mildern.
Und was bringt es, auf der B 27 mitten durch die Stadt, der „2 plus 2 Variante“ hocken zu bleiben? Sie muß von einem sadistischen Gegner des Hindenburgpro-jekts ersonnen worden sein. Nur der Rückbau der Stuttgarter Straße beendet das Abschneiden und die Isolierung der neuen Stadt der kurzen Wege und langen Leitungen.
Anton Brenner, Stadtrat der Tübinger Linken / PDS
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Nr.3: Mittwochspalte 20. 12. 2000
Zustimmung zum Haushalt 2001
Tübingen hat ein Zeichen gesetzt. Die ehemaligen Zwangsarbeiter werden entschädigt. Sofort. Die Verwaltung ermittelt die Adressen und zahlt aus. Unabhängig von dem 10-Milliarden-Entschädigungstopf, der sich unwürdig seit Jahren hinzieht, weiter hinziehen wird, bis die letzten Opfer gestorben sind. 12 Adressen sind bekannt. Wie im Bistum Rottenburg-Stuttgart erhält jeder 5000 DM. Es war nicht einfach, diese selbstverständliche Geste durchzusetzen. Deshalb haben wir dem Haushalt der Stadt Tübingen zugestimmt. Als Oppositionspartei. Ohne Hilfe der CDU und der anderen eher als konservativ geltenden Parteien im Rathaus wäre dies nicht möglich gewesen. Dafür danken wir.
Schade. Es gibt Verlierer und Gewinner der Haushaltsabstimmung. Das wäre nicht nötig gewesen. Jeder musste Abstriche machen. Kommunalpolitik muss nicht immer Partei-Hickhack sein. Die Tübinger CDU wird von denen besonders vorgeführt, die jahrelang mit ihr paktierten und am meisten von ihr profitierten. Die SPD zahlt einen großen Preis für ihre unverdiente Kraft der zwei Bürgermeister(innen). Sie opfert ihre Glaubwürdigkeit. Die Provinzposse Russ-Scherer gegen Höschele ist ausgelutscht, zum Schaden beider und Tübingen zum Spott.
In der Endrunde der Haushaltsberatung konnten wir zur Aufstockung des Sozialetats, für mehr Mittel für den Sport und für Radwege beitragen. Für ein Zeichen, mehr für die Kulturinitiativen zu tun, fanden sich keine Bündnispartner. Fachkräfte für Informationstechnologie auch im Rathaus einzustellen, hielten die ideologisch festgefahrenen Sparkommissare von AL und SPD für überflüssig. Das wird teuer. Unser Antrag für den vorbeugenden Brandschutz und die Stärkung der freiwilligen Tübinger Feuerwehr fand keinen Zuspruch. Muss erst etwas passieren?
Wir sind nun ein gutes Jahr im Gemeinderat. Wir haben viel dazugelernt. Vielleicht haben wir einige Vorurteile gegen eine Partei links von der SPD zerstreut. Die Unternehmer werden in uns immer einen Verbündeten haben, wenn es um Arbeitsplätze geht. Die Gewerkschaften sind nicht ganz verlassen, weil es uns gibt. Der Kalte Krieg ist ein Gespenst von gestern. Für Tübingen tun wir alles: Im Bündnis mit der „klassischen Mitte“ um CDU, UFW oder WUT oder auch mit der „Neuen Mitte“ von SPD und AL. Doch die Wähler haben auch gewollt, dass wir respektlos und unerschrocken mögliche große Koalitionen des Stillstands und der Langeweile dort anpacken, wo es weh tut. Von denen, die es besonders erwischt hat, erflehen wir zu Weihnachten einen vollkommenen Ablass.
Anton Brenner, Tübinger Linke / PDS
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Nr.4: 25.4.01 MITTWOCHSPALTE
Verschiedene Leitbilder
Frauen, die Karriere wollten, könnten keine Kinder haben. War dieser Satz die Selbstkarikatur einer Karrierefrau oder eine Kritik an unhaltbaren Zuständen? Ich dachte an die zweite Möglichkeit. Als wir die Autorin und SPD-Oberbürgermeisterin im Gemeinderat dann drängten, mehr für die berufstätigen Mütter zu tun, wenigstens wie in Rottenburg oder Hirrlingen die Kindergartengebühren zu senken, leistete sie knallhart Widerstand. Aus den Reihen der CDU wurden wir unterstützt. Weshalb muss sich die SPD, Abteilung „Neue Mitte“, antisozialer aufführen als die alte Mitte?
Wir trauten unseren Ohren nicht, als die SPD-Oberbürgermeisterin die Bezahlung der Putzfrauen nach BAT-Tarif mit als Grund für die Zerschlagung der städtischen Altenhilfe anführte. Wir fragten nach, ob dies tatsächlich ihr Ernst sei. Sie blieb dabei, knallhart. Die privaten Putzdienste verbieten ihren 630-DM-Putzfrauen Gespräche mit den alten Menschen, selbst kleine Dienstleistungen wie Lichtanknipsen sind verboten.
Die Stadt vergeudet Millionen für „externe Beratung“, für Leitbildgurus wie Arras oder Anderson, für die unteren Lohngruppen dagegen gibt es „Mitarbeitergespräche“ zur Niederstufung: Werden so Mitarbeiter motiviert? Stifter sparen Steuern, dafür wird der Sozialetat gekürzt: Wer Geld hat, nicht wer gewählt und abgewählt werden kann, bestimmt dann, wem in Tübingen geholfen wird.
Das Leitbild der Stadtverwaltung führt zum Rückbau statt zum Ausbau der städtischen Kinderhorte und Ganztagesbetreuung. Sorgt die wildgewordene Neue Mitte in Tübingen dafür, dass eine Geburtenrate von 1,3 noch unterboten wird? Unsere westlichen und nördlichen Nachbarländer sorgen längst dafür, dass durch kostenlose Kindergärten und Ganztageseinrichtungen jede berufstätige Frau Kinder haben kann, ohne zu verarmen. Auf das Leitbild „kinderfreundliche Stadt“ werden die DINKS (double income no kids) im Rathaus nicht von sich aus kommen.
Ohne die Hilfe von Pantel (CDU) und Riethmüller (WUT) hätten wir der Oberbürgermeisterin, die sich bis zuletzt mit Händen und Füßen wehrte, eine unbürokratische Entschädigung der Zwangsarbeiter nicht abtrotzen können. Umso mehr freut mich jetzt, dass die Oberbürgermeisterin die 5000 DM „persönlich übergeben“ möchte.
Außer der PDS macht auch die CDU die soziale Frage zum Hauptthema des nächsten Bundestagswahlkampfs. Die Schwerpunkte der SPD-Landtagsfraktion sind Kinderbetreuung und Kinder-tagesstätten. Vielleicht geht es den Leitbildern der Neuen Mitte wie manchen Werten des Neuen Markts.
Anton Brenner, Stadtrat der Tübinger Linken / PDS
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Nr.5: Mittwochspalte 22. August 2001
Gelber Sack und Grüne Tonne
Berge von gelben Säcken, deren Inhalt liebevoll getrennt gesammelt und nicht immer blitzblank gesäubert ist, stehen auf der Straße Spalier für den von den Grünen angerichteten Erfolg. Die grünen Tonnen stinken vor sich hin, die Ratten gehören inzwischen zum geschützten Grünbestand. Als Krönung der Ökobilanz wandern die meisten gelben Säcke dann gemeinsam mit dem Restmüll in die Verbrennungsanlage. Die Bürger haben sich an den laufenden Schwachsinn gewöhnt. Also sind sie aufnahmebereit für weitere Sprachregelungen der gelb-grünen Neuen Mitte.
30 Jahre Laufzeit heißt „Ausstieg aus der Atomenergie“. Robuster Kriegseinsatz heißt „humanitäre Intervention“. Behördlich beaufsichtigte Arbeiten heißen „bürgerschaftliches Engagement“. Aufseher nennen sich „Mentoren“ und „Kümmerer“. Eine leibhaftige AL-Stadträtin schnüffelt in Blockwarttradition in Nachbars Haus herum und erstattet im Rathaus Meldung. Das nennt sich Bürgerorientierung. Die Verant-wortliche für Mobilfunkmasten und den Transport des Tübinger Straßenkerichts nach Pommern nennt sich „Umweltbeauftragte“. Die Unterordnung unter die neue Weltordnung des Neoliberalismus und der Globalisierung, die Ökonomisierung und das Benchmarking aller Lebensbereiche nennen sich „Leitbild nachhaltige Stadtentwicklung“.
Die Alternative Liste ist inzwischen die rechteste Gruppierung im Gemeinderat. Die Neue Mitte privatisierte die Altenpflege, damit städtisch beschäftigte Putzfrauen nicht mehr zuviel verdienen. Der TüBus wurde von ihnen nachhaltig verteuert und leitbildmäßig mit Kartenautomaten bestückt, was die Bevölkerung so wenig zu Begeisterungsstürmen bewegte wie die FDP-AL-Buslinie durch die enge Hausserstraße.
Wenn die Neue Mitte öffentlich subventioniert, damit privat verdient werden kann, dann richtig: Anders als am Neuen Markt ist bei unserer Tübinger Neuen Mitte die Euphorie für die Biotechnologie ungebrochen. In der besten Wohnlage werden die Bodenpreise von 1000 auf 100 DM und die Mieten von 40 auf 15 DM heruntersubventioniert, was uns Millionen kostet. Die Stadtverwaltung spricht von 3000 neuen Arbeitsplätzen, 300 sind realistischer, wenn es überhaupt klappt und nicht am Schluss Ivo Lavetti in überdimensionierte Gebäude einziehen muss. Hundert Beschäftigten von Maschinen-Mejer hingegen einen Gefallen zu tun, der die Stadt nichts kostet, kommt für die gelben Säcke und grünen Tonnen im Gemeinderat nicht in Frage.
Anton Brenner, Tübinger Linke / PDS
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Nr.6: Mittwochspalte 16. Januar 2002
Matrix-Kult im Rathaus
10. Januar 2002. Lenkungsgruppe Verwaltungsreform im Rathaus. Amtsleiter tragen Bekehrungsgeschichten vor wie in Zeltgottesdiensten amerikanischer Neukirchen. Mit den Methoden von Psychosekten schult die Bertelsmann-Stifung die Verwaltung auf Kommunitarismus um. Hunderttausende bekam der Basler Mentor Arras für das Abgewöhnen von eigenständigem Denken und das Einschwören auf vorgegebene Leitbilder. Zwei geschäftstüchtige Damen von Andersen (Kosten bisher 250 000 €) beglücken die Verwaltungsspitze mit modischen Begriffen wie Matrixorganisation und Kompetenz Center. Leitungsfiguren sollen ja nichts mehr „operativ“ schaffen, sich ganz aufs „Führen“ konzentrieren.
Dieses Erfolgsmodell führte der frühere DKP-Stadtrat Willauer in den Achzigerjahren schon DDR-geschult in der DKP ein, mit der Folge, dass vor lauter „Führen“ und „Anleiten“ niemand mehr etwas tat. Mehrere dieser DKP-Trainer arbeiten heute hochbezahlt bei Beraterfirmen wie Andersen. Statt „demokratischer Zentralismus“ verwenden sie neue Modewörter (s.o.). Gemeint ist das Gleiche. Führungskräfte schreiben brav jeden Unsinn der externen Berater mit. Wir lachen uns immer halb tot, wenn sie davon erzählen.
Von gestern ist auch die Tübinger Wirtschaftsförderung, Honecker hätte seine Freude daran gehabt. Sie ist teuer (statt 1,6 Mio zahlt die Stadt für den Bio-Techno-Park Viehweide über 7 Mio €) und nur in Ausnahmefällen erfolgreich. Modern wäre die Stärkung der „weichen Faktoren“ Bildung und Kultur. Die machen einen Standort attraktiv.
Ironie der Geschichte: Die PDS steht wieder zur freiheitlichen sozialistischen Tradition und möchte statt sinnloser Subventionen die Kernkompetenz der Kommune, Bildung, Kultur, Soziales, stärken. Die Neue Mitte schulmeistert die Ökonomie und übernimmt die größten Fehler der realsozialistischen Sackgasse. Sie propagiert das Einheitsdenken, wir den pluralistischen Streit. Die „Nationale Front“ der DDR feiert Urständ in gemeinsamen Leitbildern. Sie zähmt das bürgerschaftliche Engagement mit Mentoren und hauptamtlichen Kümmerern und macht aus kritischen Bürgerinitiativen handzahme Freiwillige für die nächste Stadtputzete.
Wenn das progressiv ist, sind wir lieber konservativ, wie uns die Neue Mitte gern bezeichnet. Eine Großkritikerin der PDS schrieb, die PDS könne konservativer und christlicher als die CDU, grüner als die Grünen und sozialdemokratischer als die SPD sein. Unsere Position für Meinungsvielfalt statt Leitbildkorsett, für Integration statt Re-Islamisierung durch fundamentalistische Kindergartenträger zeigt, dass wir auch liberaler als die FDP sein können.
Anton Brenner, Tübinger Linke / PDS
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Nr.7: Mittwochspalte 12. Juni 2002
Dumm gelaufen
Weshalb musste Walter Jens zur Eröffnung des Tübinger Bücherfestes ausgerechnet Martin Walser zitieren, positiv? Er hat sich damit positioniert im Antisemitismus-Streit gegen Marcel Reich-Ranicki und das tut ihm nicht gut. Kay Borowski hatte nach über 13 Jahren wieder einen antisemitischen Anfall. Damals, bei einem Symposium über die Perestroika, mit den Professoren Judanow und Jerusalimski, quoll es aus ihm heraus, mit solchen Leuten würde kein Russe an einen Tisch sitzen. Jetzt wiederholte er das antisemitische Stereotyp Walsers, Reich-Ranicki fehle es an Originalität, alles habe er von Inge und Walter Jens aufgesaugt. Nach diesen unsäglichen Lobangriffen war das Jens’sche Walser-Zitat eine Ver-beugung: Wolf Biermann schreibt: „Möllemann walsert, und Walser möllemännelt. Das eröffnet nach 60 Jahren nun eine schon zynisch zivilisierte Verwertungsphase: damals die Kleider, die Schuhe, die Haare und die Goldzähne – jetzt Wahlstimmenfang und Bücherpromotion.“
Murphys Law in Tübingen. Wenn etwas schief gehen kann, geht es auch schief: Ärger im Stadtverkehr, Taschenschub beim Mobbingangriff auf den CDU-Bürgermeister, Fehlkalkulation obere Viehweide, Ruinen in der Südstadt als Dauermenetekel, Zoff mit den Bürgerinitiativen, offensichtliche Patronage – Conarenco baut ohne Ausschreibung und Familie Beil selbdritt in LTT und Zimmertheater, Islamisten als Kinder-gärtner und am Montag der verbissene Kampf gegen die Schulküche in der Geschwister-Scholl-Schule. Wie lange lässt der Gemeinderat die Frau Oberbürgermeisterin noch wüten?
Immerhin, eine Maschinenbaufirma konnte jetzt trotz ihres erbitterten Widerstands Richtfest feiern. Um Handwerker und Selbständige ökonomisch erpressbar zu machen, muss eine Grundstücksgesellschaft her und werden Geschäftsbereiche der Stadtwerke ausgeweitet. SPD-Migliedern, die widersprechen, ist sie eine unerbittlich Parteifeindin. Die Landesvorsitzende musste über den Hintereingang ins Rathaus. Ihre Mehrheit darin indes bröckelt. Ihre Bürgermeister und ihre eigene Fraktion greifen sich an den Kopf. Lange wird Dietmar Schöning von der FDP nicht mehr als Ersatzfraktionsführer der Regierungspartei einspringen.
Der Populist Riethmüller, der einst den Oberbürgermeister Dr. Eugen Schmid der mobilisierten Menge vorführen wollte, hat den Absprung verpasst und hat die OB weiter im Depot. Ihm geht es wie so vielen, die nicht rechtzeitig aus dem Neuen Markt, aus mogel.com etc... rausgingen. Dumm gelaufen.
Anton Brenner, Tübinger Linke / PDS
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Nr.8: Mittwochspalte 30. Oktober 2002
Spiele statt Brot
Um den Biotechnologie-Park Obere Viehweide ist es ruhig geworden. Es lebe die TÜ-Arena! Was macht die Neue Mitte, nachdem ihr der Neue Markt abhanden gekommen ist? Sie steigt ins Spaßmobil und kümmert sich um gute Laune. 75000 Euro mussten die Stadtwerke sponsern, 5 Minuten, bevor die Wired Minds von der Bildfläche verschwanden. Die Oberbürgermeisterin und ihr Gemahl nahmen die Huldigungen der Fans entgegen. Damit andere Stadträte nicht auch auf die Idee kommen, die Schiebereien nicht länger mitzumachen, sollte ich stellvertretend und vorbeugend abgestraft werden: Aktion Geheimrat statt Aktion Gläsernes Rathaus.
Andere Städte haben ihre Stadtwerke verkauft und das Geld an der Börse verzockt. Tübingen verheizt das nicht vorhandene Geld in Subventionen und Prestigebauten und lässt die Stadtwerke dafür bezahlen. Automatische Parkhäuser sind im Unterhalt mehrfach teurer als konventionelle, die Bewohner des Französischen Viertels sollen damit erzogen und bestraft werden. Das senkt schon jetzt den Wert der dortigen Wohnungen, macht sie schwer verkäuflich und beschert den Stadtwerken ein dauerndes Defizit. Die TÜ-Arena sollte erst 6 Millionen € brutto kosten. In der Ausschreibung wurden es 6,5 Millionen, dann wurde aus Brutto plötzlich Netto (ohne MWSt.), jetzt liegen wir bei 8,5 Millionen netto, da Brigitte dem feschen Münchner Architekten jeden Zusatzwunsch von den Augen abliest. Mit dem Ersatz des Kunstrasenplatzes sind dies 10,5 Millionen € brutto. Eine Steigerung von 75%. Die Unterhaltskosten betragen erfahrungsgemäß 10% der Investitionssumme. Träger soll eine städtische GmbH werden. Dafür kommen nur die Stadtwerke in Frage. Der Gewinn der Stadtwerke ist damit weg. Ihr Verkauf nur noch eine Frage der Zeit.
Mit 75 % Überziehung bei der TüArena bewegen wir uns auf dem untersten Russ-Scherer’schen Niveau. Die veranschlagten 126800 € für die weltweit berüchtigte Beraterfirma Arthur Andersen vermehrten sich klammheimlich auf 295600 € (Steigerung 133 %). Der Biotech-Prestigepark verschlang bisher statt 1,7 Millionen 7,4 Millionen € (Steigerung 335%). Nicht gerechnet sind dabei die laufenden Mietsubventionen und kropfunnötigen Vermarktungs-GmbH-Geschäftsführer (STERN & WIT).
Ach ja. Gespart wird auch. Bei Schulen. Kindergärten, Sportvereinen, Stadtteilen, Personal. Und: Es darf gespendet werden. Nachdem Spenden von Handel und Industrie durch die Höschele-Strafaktion ausgebremst wurden, stehen nun die begossenen Pudel mit den Sammelbüchsen auf dem Holzmarkt.
Anton Brenner, Tübinger Linke / PDS
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Nr.9: Mittwochspalte 02. April 2003
Neue Katastrophen
15 Jahre lang zahlt die Stadt Tübingen jährlich 660 000.-€ Miete für das erste Gebäude des Bio-Technologie-Zentrums Obere Viehweide. Mit etwas Glück können 40% der Fläche vermietet werden. Natürlich nicht zur Kostenmiete von 16,62 €/qm. Zuschussbedarf jährlich ca. 500 000 €. Etwa 8 Millionen € hat Tübingen für dieses Projekt bereits durch den Schornstein gejagt. Mit einer 62-prozentigen Abwasserpreiserhöhung beteiligen sich die Tübinger an den Investitionen. Das jährliche Defizit zahlen die Kinder und die jungen Wissenschaftlerinnen, die ihre Kinder in guten Händen wissen wollen. Tübingen zerstört seinen Standortvorteil. Welche junge High-Tech-Firma will schon in eine Stadt ziehen, wo die im Europavergleich ohnehin mickrige Kinderbetreuung weiter zurückgefahren wird? Der Investitionshaushalt der meisten Tübinger Schulen steht wegen der Biotech-Pleite auf Null. Tübingens Schulen verlottern. Schüler und Lehrer werden weiter karzinogenem Staub und Baustoffen ausgesetzt. Die Schulleiter haben bei der geheimen Pfrondorfer Streichrunde kein Rederecht. Der zuständige Ausschuss wurde abgesagt.
Werden wenigstens neue Arbeitsplätze in dem halb leerstehenden Gebäude geschaffen? Kein einziger! Ortsansässige Firmen werden aus privaten Mietverhältnissen abgeworben. Von 3500 bis 4000 neuen Arbeitsplätzen war die Rede. Gewerbliche Arbeitsplätze wie beim Maschinen-Majer galten Russ-Scherer und Riethmüller als entbehrlich.
Geht die Rathausviererbande angesichts des Desasters in sich?
Wird die Frau Oberbürgermeisterin durch Schaden klüger? Wird der Erste Bürgermeister ("Mir ist es egal, wer unter mir Oberbürgermeisterin ist") kleinlauter? Denkt Dietmar Schöning, der emsige parlamentarische Geschäftsführer der Rathausmehrheit, und produziert weniger Papier? Merkt der Stadtregent und HGV-Napoleon Riethmüller überhaupt noch, was um ihn herum vorgeht?
Sie merken nichts. Zu sehr sind sie damit beschäftigt, neue Katastrophen vorzubereiten. Automatische Parkhäuser mit Millionen-Folgekosten, Preisexplosionen bei der Tü-Arena, ein neuer Defizitbringer "EcoCity Derendingen".
Fortschritte jedoch macht das Geschäftsführer-Einstellungsprogramm. Nach den Stadtwerken eine Verdreifachung bei der Wirtschaftsförderungsgesellschaft. Eine Stadtmarketings-Gesellschaft soll folgen, wenn die Kommunalwahl in einem Jahr dem Spuk kein Ende bereitet.
Anton Brenner, Tübinger Linke / PDS
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Nr.10: Mittwochspalte 11. Juni 2003
Toleranz
Wenn die Tübinger Stadtregierung wirtschaftlichen Druck ausübt, um Stadträte politisch gefügig zu machen, kritisieren wir dies ebenso wie die in Tübingen heimische Klientel-, Vetterles- und Bäsleswirtschaft. Für intolerant halten wir Versuche, einen politisch nicht genehmen Bürgermeister beruflich zu vernichten, unserem CDU-Kollegen Kost die Ehre (Schöffenwahl) abzuschneiden oder öffentlich zu Geschäftsboykotten aufzurufen.
Vor 70 Jahren, am 15. Mai 1933 schloss der Tübinger Gemeinderat einstimmig, lange vor anderen Städten, "Juden und Fremdrassige" vom Besuch des Freibads aus. Kurz davor war der Gemeinderat analog zum Reichstagswahlergebnis "umgebildet" worden. Der Tübinger KPD-Stadtrat Hugo Benzinger saß schon zusammen mit Ferdinand Zeeb im Konzentrationslager Heuberg. Die Tübinger Chronik berichtete am 9.5.1933: "Die Fraktion, die lediglich der Opposition wegen auf dem Rathaus war, nämlich die kommunistische, ist Gott sei Dank verschwunden. Sie war es, die jedem anständig Denkenden die Freude an der Gemeindepolitik vergällt hat." Eine Woche später hieß es in der Chronik: "Die Zahl der Tübinger Gemeinderatsmitglieder ist abermals um drei verkleinert worden. Die Sozialdemokratische Fraktion ist, nachdem sich die Ortsgruppe der Partei aufgelöst hat, abgetreten. Damit ist das Kollegium jetzt vollständig marxistenrein." (Ausgerechnet ein Sozialdemokrat nimmt heute diese Wortwahl wieder auf und spricht vom "Bedürfnis, den Saal zu lüften".)
12 Jahre später machte die französische Militärregierung die unlängst noch als Kommunisten inhaftierten Karl Kammer und Ferdinand Zeeb zu Leitern des Polizeiamts und der Kriminalpolizei. Sie vergalten nicht Gleiches mit Gleichem, sondern halfen vielen einfachen NSDAP-Mitgliedern. Der Kommunist Hebsacker und der Sozialdemokrat Müller bekamen die Zeitungslizenz und machten aus dem Schwäbischen Tagblatt eine der liberalsten und tolerantesten Zeitungen.
Am 7. Mai 1946 berichtete das Schwäbische Tagblatt über eine Sitzung der Tübinger CDU und deren Programm: "Also steht eine Lösung zur Diskussion, in der sich marxistische Wirtschaftskritik mit christlicher Gerechtigkeit verbindet, ausgearbeitet von schwäbischer Gründlichkeit." Auf dieser Basis könnten wir uns sogar ein gemeinsames Leitbild vorstellen.
Anton Brenner, Tübinger Linke / PDS
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Nr.11: Mittwochspalte 29. Oktober 2003
Das Matthäus-Prinzip
"Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat." (Mt 13,12)
Eine Hardcore-Auslegung des Matthäus-Prinzips bestimmt das Handeln der Neuen-Mitte-SPD im Tübinger Rathaus. Mein Vorschlag im Verwaltungsausschuss, nicht bei den untersten Lohngruppen, sondern bei den Zulagen der städtischen Geschäftsführer, der OB und der Beigeordneten mit Sparen anzufangen, stieß auf blankes Entsetzen. Nach dem, was sie arbeite, jammerte die Oberbürgermeisterin zum Herzerbrechen, müsste sie schon längst nach der Besoldungsgruppe B 7 statt nach B 6 bezahlt werden. Die Arbeiter, bei denen die geringfügige Zulage gekürzt werden soll, erhalten 1748 Euro im Monat Grundlohn. Der B 6 Gehalt der OB beläuft sich auf 7064 € (B 7 wären 7432 €). Zudem erhalten die OB und die Beigeordneten eine Zulage von 7 %. Auf die wollen sie nicht verzichten. Dafür werden die untersten Lohngruppen geschröpft. Und die SPD wird nicht schamrot.
Alle sollen sparen? Weit gefehlt. Wer zum Freundes- oder Anhängerkreis der Oberbürgermeisterin gehört, über dem wird das Füllhorn eines Sozialstaats neuer Art ausgegossen. Dem einen baut die öffentliche Hand (die TTR) eine Kneipe für 400 000 Euro auf der Oberen Viehweide. Und da der Kneipenbau zum Kerngeschäft der Öffentlichen Hand und der früher "gemeinnützigen" Wohnungsbaugesellschaft gehört, darf sich ein weiterer auf das von der GWG finanzierte Casino freuen.
Für Freunde wird auch jede Konkurrenz verhindert. H&M darf nicht mit junger und preiswerter Mode nach Tübingen, das walte der HGV mit Zinser im Vorstand. Die Freundschaftsdienste werden immer offensichtlicher und dreister. Wer zu ihrem Freundeskreis gezählt wird, muss mehr um seinen Ruf fürchten als ihre Gegner: Gell, Frau Schwitalla! Was soll das Kino-Verbot im Französischen Viertel? Die verärgerten Musterstadtteil-Bewohner wetzen doch nicht zum Kino-Lamm oder Porno-Paul in die Altstadt. Die Alternative heißt doch Pantoffelkino.
Unterliegt das alles nicht der Geheimhaltungspflicht? Darf es überhaupt eine Opposition geben? Brigittes Location-Ulf forderte im Gemeinderat allen Ernstes, es dürften nur noch Anträge gestellt werden, die eine Mehrheit bekommen. Und keiner hat gelacht.
Anton Brenner, Tübinger Linke / PDS
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Nr.12: Mittwochspalte, 10. März 2004
Das Jammern der Jasager
Fünf Minuten vor der Wahl fallen fast alle über unsere Oberbürgermeisterin her. Jahrelang haben sie Ja und Amen gesagt und dafür gesorgt, dass Brigitte Russ-Scherer so wurde. Wenn jetzt manche jammern, dass die OB sie als Jasager genauso schlecht behandelt wie ihre Gegner, wird sie mir fast sympathisch. Mit vielen Russ-Scherer Wählern hatte ich 1998 gehofft, sie würde sich als Frau von außen von keinem der Tübinger Klüngel vereinnahmen lassen, - vergeblich. Jetzt ist sie deren Gefangene. Wenn sie letztlich scheitert, werden ihre Lobhudler noch mehr über sie herfallen als jetzt über mich. Die Steigerung von Erzfeind heißt Parteifreund.
Intelligente Standortpolitik heißt heute: Maßvolle Steuern und Gebühren, gute Kinderbetreuung und Schulen, kreativ-kritische Kultur. Dann kommen junge Firmen und junge WissenschaftlerInnen nach Tübingen. Doch Tübingen spart hier, um eine Subventions- und Leuchtturm-Protzkultur von gestern bezahlen zu können. Andere Städte kämpfen um junge Familien. In Tübingen gelten Besucher als unerwünscht (Strafzettel, Parkgebühren) und junge Familien als Störfaktoren (die Altstadt sei nicht der richtige Wohnort für Familien mit Kindern, meinte die OB). Die Tübinger entscheiden am 13. Juni, ob das so weitergeht.
Die SPD-Fraktion verehrt ihren altbackenen übermächtigen SPD-Staat mit seinen Tübinger Leuchttürmen in Gestalt der Oberbürgermeisterin und preist sie als „strategisch, mutig, gescheit, fleißig, überlegen und attraktiv“ (SPD-Leserbrief vom 4.3.04). Wer so eine heiligmäßige Figur kritisiert, kann nur der Satan selbst sein: So werde ich als Panscher, Lügner, Hetzer und je nach Jahreszeit als Tübinger Möllemann, Exstalinist, Schill oder Kardinal Ratzinger beschimpft.
Es geht am 13. Juni nicht um die Oberbürgermeisterin. Auch nicht um die drei Proporzbürgermeister, die beim neuen Fachbereichsmodell keine Funktion mehr haben und bis zum Ablauf ihrer Amtszeit als Grußauguste ihr Gnadenbrot verzehren.
Nicht nur der bessere Teil der Tübinger SPD möchte eine andere Politik. Soziale Politik ist klüger, erfolgreicher und moderner. Autos kaufen keine Autos. Eingesparte Mitarbeiter und ausgenommene Bürger lassen die Tübinger Geschäfte nicht brummen.
Die Wähler denken nicht mehr in alten Schablonen. Die Lager lösen sich auf. Bei Kommunalwahlen gelten sowieso andere Gesetze. Besonders in Tübingen gönnen viele den Jasager-Parteien eine Denkpause, auch solche, die nie im Leben bei Land- und Bundestagswahlen links oder die PDS wählen.
Anton Brenner, Stadtrat der Tübinger Linken / PDS
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Nr.13: Mittwochspalte 19. Mai 2004
Wahlkampfhölle vor Himmelfahrt
Sich selbst versorgen, aber das Zimmertheater schließen wollen: Die Wählervereinigung WUT erntete (Vera) Sturm auf diesen doofsten Anbiederungsversuch an den Stammtisch. Gott sei Dank ist morgen Himmelfahrt und der sonst fast ausschließlich von der Oberbürgermeisterin bestrittene Wahlkampf fährt in die Schulferien.
Die Programme aller sieben Wählervereinigungen zur Wahl am 13. Juni, dem Festtag des heiligen Antonius von Padua, sind gut. Der Weg in den Kreis- und Gemeinderat ist mit guten Vorsätzen gepflastert.
Groß ist die Übereinstimmung aller Gruppierungen im Rathaus. Jeder stimmte schon mit jedem. Auch wir stimmten 97% aller Vorlagen der Verwaltung zu, weil dort immer noch genügend vernünftige Leute arbeiten, so schwer es ihnen auch von oben gemacht wird.
Doch es ist nicht gut, wenn Einmütigkeit und Harmonie zu groß sind. Konkurrenz belebt das Geschäft und ohne Kritik „kann des Menschen Tätigkeit allzu leicht erschlaffen“, sagt Gott in Goethes Faust.
Das Rollenspiel wird geübt weitergehen. Wir müssen meist den Advocatus Diaboli spielen. Meister Schöning dagegen nimmt stets die Witterung einer sich abzeichnenden Mehrheit auf. Wenn die Verwaltungsspitze gar zu dusselig ist und die Kollegen einen mutigen Tag haben, bekommen auch wir einen Antrag durch.
In hellen Momenten begreifen viele im Stadtrat, dass sie fünf Jahre gegenseitig ausgespielt wurden. Die Fehlentscheidungen kosteten Millionen. In wichtigen Punkten zieht neuerdings Höschele die CDU ins Russ-Scherer-Lager, zur SPD-Fraktion sage ich (wie Dr. Eugen Schmid zur OB-Eklat-Rede) lieber nichts, WUT und Russ-Scherer sind ein gegenseitiger Versorgungsfall und die UFW wurde zum Grundsteuer-Erhöhungs-Trauerfall und leichten Beute der Oberbürgermeisterin. Es droht eine CSWU-Mehrheit. Listen-Wähler von CDU, UFW und WUT müssen fürchten, zum Stimmvieh für Russ-Scherer zu werden.
Wir können weiter für ein „gläsernes Rathaus“ sorgen, wenn nicht nur wir drei Stadträte panaschiert (auf andere Listen übertragen) und kumuliert (3 Stimmen je Kandidat) werden, sondern auch die ganze Liste der TÜL/PDS gewählt wird. Entscheidend für unsere Wiederwahl ist die Gesamtstimmenzahl der Liste. Das wird manchen aus nicht lokalpolitischen Gründen etwas schwer fallen. Die Wahl ist geheim. Sie können uns in Stadt und überall im Kreis Tübingen der Oberbürgermeisterin an den Hals wählen: Als roten Schal, der beißt.
Anton Brenner, TÜL/PDS
Nr.1: 1.4.2000 Mittwochspalte:
Pietcongs und Provinz-Savonarolas bevormunden Tübingen
Als wir mit der Oberbürgermeisterin und der WUT für die Reduzierung der Gemeinderatsausschüsse gestimmt haben, wunderten sich die in alten Gewissheiten festgefahrenen Stadträte. Ganz durcheinander kamen sie dann, als wir zusammen mit der UFW, der CDU und den wenigen Kollegen mit gesundem Menschenverstand aus FL und SPD (Hans Schreiber, Renate Wiedemann und Peter Bosch) mit 21 zu 20 Stimmen den seit Jahren vertrösteten und hingehaltenen Bauherren in der Steinbösstrasse das Bauen ermöglichten. Wir sind nicht im Gemeinderat, um den Bürgern immer neue Beschränkungen aufzuerlegen.
Parkraumbewirtschaftung bis in die Randbezirke bringt die Tübinger bis zur Weißglut. Es reicht allmählich. Kommunalpolitik wird mit kleinlicher Schikane gleichgesetzt. Auflagen ohne Ende: Aber für den größenwahnsinnigen Schwachsinn an der Blauen Brücke verschenkt die Stadt Millionen. Geschäftsinhaber in der Altstadt kassieren fürs Ausladen einen Strafzettel. Aber für die bonbonfarbene Panzerkaserne des evangelischen Hofarchitekten mit den Klofenstern an der Schokoladenseite werden sämtliche Bestimmungen der Stadtbildsatzung außer Kraft gesetzt.
Dass Industrie und Gewerbe nicht nach Tübingen hereingelassen bzw. verjagt werden, ist alte bildungsbürgerliche Tradition in Tübingen. Die Tübinger Pietisten sorgten immer dafür, daß Geschäftsleute und Kunden in Tübingen nichts zu lachen haben. Keine Partei ist von dieser Grundströmung verschont. Die AL/FL-Grünen jedoch gelten als die Hauptpartei des Tübinger „Pietcong“ (Wehner über Eppler). Wir dagegen wollen, daß es Spaß macht, in Tübingen zu leben, zu arbeiten, zu wohnen, einzukaufen und Geschäfte zu machen. Das Bevormunden überlassen wir den BesserwisserInnen der Tübinger Variante der „Neuen Mitte“.
Es soll sozial zugehen in Tübingen. Wir pfeifen auf die Spendierhosen der Bürgerstiftung und die Bevormundung durch „Kümmerer“, „Mentoren“ und „Mediatoren“. Handwerker, Pedell, Putzfrau und Professor sollen weiter gemeinsam beim „Weinschmied“ hocken und im Stadtfriedhof nebeneinander liegen. Zweiklassenfriedhöfe werden wir ebenso verhindern, wie wir 5-DM Benzin und andere Ökosteuern für unsozial halten. Auch wenn sich der AL-Liebscher grün ärgert, werden wir da weiter mit der „katholischen SPD“ (Möllemann über die CDU) abstimmen.
Was die hasenstallengen Lieblingsprojekte unserer Provinzsavonarolas von Al-grün/FL betrifft: Da heißt es aufpassen, wenn es nicht schon zu spät ist. Die Chancen wachsen, dass aus Hindenburg und Loretto ein gewaltiger Backofen entsteht. Das Ganze ist so gut gemeint, daß es nur schief gehen kann.
Anton Brenner, Tübinger Linke / PDS
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Nr. 2. Mittwochspalte 9.8.2000
Tanz der Vampire im Schlosskeller
Zwischen alter und „neuer Mitte“ fällt uns Sozialisten die Entscheidung oft schwer. Die „alte Mitte“ ist manchmal anständiger, die neuen Besen kehren oft schlechter. Sie jagen die gesamte Verwaltung mit ihrem Bertelsmann-Kommunitarismus in ein gewaltiges Hamsterrad und nennen dies Verwaltungsreform. Nichts wird besser, sozialer oder ökologischer. Der Tübinger Klärschlamm wird nach Sachsen-Anhalt, der Tübinger Straßenkericht 1000 Kilometer in die andere Ecke der Republik verfrachtet. Die Umweltbeauftragte weiß davon nichts, sie macht derweil den Gütlesbesitzern in den Hangzonen das Leben schwer und nennt dies Agenda 2000.
Dabei wäre es die richtige Zeit, Blockaden zu beenden. Die heilige Fledermaus im Schloßkeller verhindert schon viel zu lange jede Besichtigung des gewaltigen Tübinger Fasses, jedes Konzert und jedes Fest im Schloßhof. Wir sollten ihr die Chance zur Umsiedlung in die umliegenden verwilderten Mittelhangzonen geben. Zur Einweihung des Schloss-Hofes könnte ja ein Gastspiel von „Tanz der Vampire“ an die Kulturhoheit der Fledermaus in Tübingen erinnern.
Auch nach der städtischen Pitbulldebatte blockieren Maulkörbe und Beißzwänge die städtische Politik. Warum geht die SPD-Oberbürgermeisterin nicht auf ihren CDU-Wirtschaftsbürgermeister zu, gibt ihm die Hand und versöhnt sich? Von dem Deal „1. Bürgermeister für die SPD“ gegen „Wirtschaftsbürgermeister für die CDU“ erst profitieren und dann auf dem hohen Roß den CDU-Mann rausmobben wollen: Hat die SPD dieses schäbige Spiel nötig?
Höschele und Russ-Scherer sollten ge-meinsam aufpassen, dass ihr Superprojekt „Obere Viehweide“ nicht in die Hose geht. Es ist das letzte dieser Art in Deutschland und das teuerste. Der Bund subventioniert die 10 Hektar schon über den Preisnachlaß mit 10 Millionen. Es wäre doch schade, wenn es am Schluß weniger statt mehr Arbeitsplätze und nur ein paar Zweitfirmen für Professorengattinnen gäbe.
Auch das Spiel „Haust du meinen Investor, hau ich deinen Investor“ wird allmählich langweilig. Könnten King und Blanke, Mühlich und Brugger, Schempp und Riedler nicht zusammensitzen, um nach einer Lösung für die Hinterlassenschaft der AL-Bürgermeisterin Gabriele Steffen an der Blauen Brücke suchen? Das könnte vielleicht das jährliche Defizit des MetropolParkhauses von 1,2 Millionen mildern.
Und was bringt es, auf der B 27 mitten durch die Stadt, der „2 plus 2 Variante“ hocken zu bleiben? Sie muß von einem sadistischen Gegner des Hindenburgpro-jekts ersonnen worden sein. Nur der Rückbau der Stuttgarter Straße beendet das Abschneiden und die Isolierung der neuen Stadt der kurzen Wege und langen Leitungen.
Anton Brenner, Stadtrat der Tübinger Linken / PDS
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Nr.3: Mittwochspalte 20. 12. 2000
Zustimmung zum Haushalt 2001
Tübingen hat ein Zeichen gesetzt. Die ehemaligen Zwangsarbeiter werden entschädigt. Sofort. Die Verwaltung ermittelt die Adressen und zahlt aus. Unabhängig von dem 10-Milliarden-Entschädigungstopf, der sich unwürdig seit Jahren hinzieht, weiter hinziehen wird, bis die letzten Opfer gestorben sind. 12 Adressen sind bekannt. Wie im Bistum Rottenburg-Stuttgart erhält jeder 5000 DM. Es war nicht einfach, diese selbstverständliche Geste durchzusetzen. Deshalb haben wir dem Haushalt der Stadt Tübingen zugestimmt. Als Oppositionspartei. Ohne Hilfe der CDU und der anderen eher als konservativ geltenden Parteien im Rathaus wäre dies nicht möglich gewesen. Dafür danken wir.
Schade. Es gibt Verlierer und Gewinner der Haushaltsabstimmung. Das wäre nicht nötig gewesen. Jeder musste Abstriche machen. Kommunalpolitik muss nicht immer Partei-Hickhack sein. Die Tübinger CDU wird von denen besonders vorgeführt, die jahrelang mit ihr paktierten und am meisten von ihr profitierten. Die SPD zahlt einen großen Preis für ihre unverdiente Kraft der zwei Bürgermeister(innen). Sie opfert ihre Glaubwürdigkeit. Die Provinzposse Russ-Scherer gegen Höschele ist ausgelutscht, zum Schaden beider und Tübingen zum Spott.
In der Endrunde der Haushaltsberatung konnten wir zur Aufstockung des Sozialetats, für mehr Mittel für den Sport und für Radwege beitragen. Für ein Zeichen, mehr für die Kulturinitiativen zu tun, fanden sich keine Bündnispartner. Fachkräfte für Informationstechnologie auch im Rathaus einzustellen, hielten die ideologisch festgefahrenen Sparkommissare von AL und SPD für überflüssig. Das wird teuer. Unser Antrag für den vorbeugenden Brandschutz und die Stärkung der freiwilligen Tübinger Feuerwehr fand keinen Zuspruch. Muss erst etwas passieren?
Wir sind nun ein gutes Jahr im Gemeinderat. Wir haben viel dazugelernt. Vielleicht haben wir einige Vorurteile gegen eine Partei links von der SPD zerstreut. Die Unternehmer werden in uns immer einen Verbündeten haben, wenn es um Arbeitsplätze geht. Die Gewerkschaften sind nicht ganz verlassen, weil es uns gibt. Der Kalte Krieg ist ein Gespenst von gestern. Für Tübingen tun wir alles: Im Bündnis mit der „klassischen Mitte“ um CDU, UFW oder WUT oder auch mit der „Neuen Mitte“ von SPD und AL. Doch die Wähler haben auch gewollt, dass wir respektlos und unerschrocken mögliche große Koalitionen des Stillstands und der Langeweile dort anpacken, wo es weh tut. Von denen, die es besonders erwischt hat, erflehen wir zu Weihnachten einen vollkommenen Ablass.
Anton Brenner, Tübinger Linke / PDS
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Nr.4: 25.4.01 MITTWOCHSPALTE
Verschiedene Leitbilder
Frauen, die Karriere wollten, könnten keine Kinder haben. War dieser Satz die Selbstkarikatur einer Karrierefrau oder eine Kritik an unhaltbaren Zuständen? Ich dachte an die zweite Möglichkeit. Als wir die Autorin und SPD-Oberbürgermeisterin im Gemeinderat dann drängten, mehr für die berufstätigen Mütter zu tun, wenigstens wie in Rottenburg oder Hirrlingen die Kindergartengebühren zu senken, leistete sie knallhart Widerstand. Aus den Reihen der CDU wurden wir unterstützt. Weshalb muss sich die SPD, Abteilung „Neue Mitte“, antisozialer aufführen als die alte Mitte?
Wir trauten unseren Ohren nicht, als die SPD-Oberbürgermeisterin die Bezahlung der Putzfrauen nach BAT-Tarif mit als Grund für die Zerschlagung der städtischen Altenhilfe anführte. Wir fragten nach, ob dies tatsächlich ihr Ernst sei. Sie blieb dabei, knallhart. Die privaten Putzdienste verbieten ihren 630-DM-Putzfrauen Gespräche mit den alten Menschen, selbst kleine Dienstleistungen wie Lichtanknipsen sind verboten.
Die Stadt vergeudet Millionen für „externe Beratung“, für Leitbildgurus wie Arras oder Anderson, für die unteren Lohngruppen dagegen gibt es „Mitarbeitergespräche“ zur Niederstufung: Werden so Mitarbeiter motiviert? Stifter sparen Steuern, dafür wird der Sozialetat gekürzt: Wer Geld hat, nicht wer gewählt und abgewählt werden kann, bestimmt dann, wem in Tübingen geholfen wird.
Das Leitbild der Stadtverwaltung führt zum Rückbau statt zum Ausbau der städtischen Kinderhorte und Ganztagesbetreuung. Sorgt die wildgewordene Neue Mitte in Tübingen dafür, dass eine Geburtenrate von 1,3 noch unterboten wird? Unsere westlichen und nördlichen Nachbarländer sorgen längst dafür, dass durch kostenlose Kindergärten und Ganztageseinrichtungen jede berufstätige Frau Kinder haben kann, ohne zu verarmen. Auf das Leitbild „kinderfreundliche Stadt“ werden die DINKS (double income no kids) im Rathaus nicht von sich aus kommen.
Ohne die Hilfe von Pantel (CDU) und Riethmüller (WUT) hätten wir der Oberbürgermeisterin, die sich bis zuletzt mit Händen und Füßen wehrte, eine unbürokratische Entschädigung der Zwangsarbeiter nicht abtrotzen können. Umso mehr freut mich jetzt, dass die Oberbürgermeisterin die 5000 DM „persönlich übergeben“ möchte.
Außer der PDS macht auch die CDU die soziale Frage zum Hauptthema des nächsten Bundestagswahlkampfs. Die Schwerpunkte der SPD-Landtagsfraktion sind Kinderbetreuung und Kinder-tagesstätten. Vielleicht geht es den Leitbildern der Neuen Mitte wie manchen Werten des Neuen Markts.
Anton Brenner, Stadtrat der Tübinger Linken / PDS
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Nr.5: Mittwochspalte 22. August 2001
Gelber Sack und Grüne Tonne
Berge von gelben Säcken, deren Inhalt liebevoll getrennt gesammelt und nicht immer blitzblank gesäubert ist, stehen auf der Straße Spalier für den von den Grünen angerichteten Erfolg. Die grünen Tonnen stinken vor sich hin, die Ratten gehören inzwischen zum geschützten Grünbestand. Als Krönung der Ökobilanz wandern die meisten gelben Säcke dann gemeinsam mit dem Restmüll in die Verbrennungsanlage. Die Bürger haben sich an den laufenden Schwachsinn gewöhnt. Also sind sie aufnahmebereit für weitere Sprachregelungen der gelb-grünen Neuen Mitte.
30 Jahre Laufzeit heißt „Ausstieg aus der Atomenergie“. Robuster Kriegseinsatz heißt „humanitäre Intervention“. Behördlich beaufsichtigte Arbeiten heißen „bürgerschaftliches Engagement“. Aufseher nennen sich „Mentoren“ und „Kümmerer“. Eine leibhaftige AL-Stadträtin schnüffelt in Blockwarttradition in Nachbars Haus herum und erstattet im Rathaus Meldung. Das nennt sich Bürgerorientierung. Die Verant-wortliche für Mobilfunkmasten und den Transport des Tübinger Straßenkerichts nach Pommern nennt sich „Umweltbeauftragte“. Die Unterordnung unter die neue Weltordnung des Neoliberalismus und der Globalisierung, die Ökonomisierung und das Benchmarking aller Lebensbereiche nennen sich „Leitbild nachhaltige Stadtentwicklung“.
Die Alternative Liste ist inzwischen die rechteste Gruppierung im Gemeinderat. Die Neue Mitte privatisierte die Altenpflege, damit städtisch beschäftigte Putzfrauen nicht mehr zuviel verdienen. Der TüBus wurde von ihnen nachhaltig verteuert und leitbildmäßig mit Kartenautomaten bestückt, was die Bevölkerung so wenig zu Begeisterungsstürmen bewegte wie die FDP-AL-Buslinie durch die enge Hausserstraße.
Wenn die Neue Mitte öffentlich subventioniert, damit privat verdient werden kann, dann richtig: Anders als am Neuen Markt ist bei unserer Tübinger Neuen Mitte die Euphorie für die Biotechnologie ungebrochen. In der besten Wohnlage werden die Bodenpreise von 1000 auf 100 DM und die Mieten von 40 auf 15 DM heruntersubventioniert, was uns Millionen kostet. Die Stadtverwaltung spricht von 3000 neuen Arbeitsplätzen, 300 sind realistischer, wenn es überhaupt klappt und nicht am Schluss Ivo Lavetti in überdimensionierte Gebäude einziehen muss. Hundert Beschäftigten von Maschinen-Mejer hingegen einen Gefallen zu tun, der die Stadt nichts kostet, kommt für die gelben Säcke und grünen Tonnen im Gemeinderat nicht in Frage.
Anton Brenner, Tübinger Linke / PDS
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Nr.6: Mittwochspalte 16. Januar 2002
Matrix-Kult im Rathaus
10. Januar 2002. Lenkungsgruppe Verwaltungsreform im Rathaus. Amtsleiter tragen Bekehrungsgeschichten vor wie in Zeltgottesdiensten amerikanischer Neukirchen. Mit den Methoden von Psychosekten schult die Bertelsmann-Stifung die Verwaltung auf Kommunitarismus um. Hunderttausende bekam der Basler Mentor Arras für das Abgewöhnen von eigenständigem Denken und das Einschwören auf vorgegebene Leitbilder. Zwei geschäftstüchtige Damen von Andersen (Kosten bisher 250 000 €) beglücken die Verwaltungsspitze mit modischen Begriffen wie Matrixorganisation und Kompetenz Center. Leitungsfiguren sollen ja nichts mehr „operativ“ schaffen, sich ganz aufs „Führen“ konzentrieren.
Dieses Erfolgsmodell führte der frühere DKP-Stadtrat Willauer in den Achzigerjahren schon DDR-geschult in der DKP ein, mit der Folge, dass vor lauter „Führen“ und „Anleiten“ niemand mehr etwas tat. Mehrere dieser DKP-Trainer arbeiten heute hochbezahlt bei Beraterfirmen wie Andersen. Statt „demokratischer Zentralismus“ verwenden sie neue Modewörter (s.o.). Gemeint ist das Gleiche. Führungskräfte schreiben brav jeden Unsinn der externen Berater mit. Wir lachen uns immer halb tot, wenn sie davon erzählen.
Von gestern ist auch die Tübinger Wirtschaftsförderung, Honecker hätte seine Freude daran gehabt. Sie ist teuer (statt 1,6 Mio zahlt die Stadt für den Bio-Techno-Park Viehweide über 7 Mio €) und nur in Ausnahmefällen erfolgreich. Modern wäre die Stärkung der „weichen Faktoren“ Bildung und Kultur. Die machen einen Standort attraktiv.
Ironie der Geschichte: Die PDS steht wieder zur freiheitlichen sozialistischen Tradition und möchte statt sinnloser Subventionen die Kernkompetenz der Kommune, Bildung, Kultur, Soziales, stärken. Die Neue Mitte schulmeistert die Ökonomie und übernimmt die größten Fehler der realsozialistischen Sackgasse. Sie propagiert das Einheitsdenken, wir den pluralistischen Streit. Die „Nationale Front“ der DDR feiert Urständ in gemeinsamen Leitbildern. Sie zähmt das bürgerschaftliche Engagement mit Mentoren und hauptamtlichen Kümmerern und macht aus kritischen Bürgerinitiativen handzahme Freiwillige für die nächste Stadtputzete.
Wenn das progressiv ist, sind wir lieber konservativ, wie uns die Neue Mitte gern bezeichnet. Eine Großkritikerin der PDS schrieb, die PDS könne konservativer und christlicher als die CDU, grüner als die Grünen und sozialdemokratischer als die SPD sein. Unsere Position für Meinungsvielfalt statt Leitbildkorsett, für Integration statt Re-Islamisierung durch fundamentalistische Kindergartenträger zeigt, dass wir auch liberaler als die FDP sein können.
Anton Brenner, Tübinger Linke / PDS
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Nr.7: Mittwochspalte 12. Juni 2002
Dumm gelaufen
Weshalb musste Walter Jens zur Eröffnung des Tübinger Bücherfestes ausgerechnet Martin Walser zitieren, positiv? Er hat sich damit positioniert im Antisemitismus-Streit gegen Marcel Reich-Ranicki und das tut ihm nicht gut. Kay Borowski hatte nach über 13 Jahren wieder einen antisemitischen Anfall. Damals, bei einem Symposium über die Perestroika, mit den Professoren Judanow und Jerusalimski, quoll es aus ihm heraus, mit solchen Leuten würde kein Russe an einen Tisch sitzen. Jetzt wiederholte er das antisemitische Stereotyp Walsers, Reich-Ranicki fehle es an Originalität, alles habe er von Inge und Walter Jens aufgesaugt. Nach diesen unsäglichen Lobangriffen war das Jens’sche Walser-Zitat eine Ver-beugung: Wolf Biermann schreibt: „Möllemann walsert, und Walser möllemännelt. Das eröffnet nach 60 Jahren nun eine schon zynisch zivilisierte Verwertungsphase: damals die Kleider, die Schuhe, die Haare und die Goldzähne – jetzt Wahlstimmenfang und Bücherpromotion.“
Murphys Law in Tübingen. Wenn etwas schief gehen kann, geht es auch schief: Ärger im Stadtverkehr, Taschenschub beim Mobbingangriff auf den CDU-Bürgermeister, Fehlkalkulation obere Viehweide, Ruinen in der Südstadt als Dauermenetekel, Zoff mit den Bürgerinitiativen, offensichtliche Patronage – Conarenco baut ohne Ausschreibung und Familie Beil selbdritt in LTT und Zimmertheater, Islamisten als Kinder-gärtner und am Montag der verbissene Kampf gegen die Schulküche in der Geschwister-Scholl-Schule. Wie lange lässt der Gemeinderat die Frau Oberbürgermeisterin noch wüten?
Immerhin, eine Maschinenbaufirma konnte jetzt trotz ihres erbitterten Widerstands Richtfest feiern. Um Handwerker und Selbständige ökonomisch erpressbar zu machen, muss eine Grundstücksgesellschaft her und werden Geschäftsbereiche der Stadtwerke ausgeweitet. SPD-Migliedern, die widersprechen, ist sie eine unerbittlich Parteifeindin. Die Landesvorsitzende musste über den Hintereingang ins Rathaus. Ihre Mehrheit darin indes bröckelt. Ihre Bürgermeister und ihre eigene Fraktion greifen sich an den Kopf. Lange wird Dietmar Schöning von der FDP nicht mehr als Ersatzfraktionsführer der Regierungspartei einspringen.
Der Populist Riethmüller, der einst den Oberbürgermeister Dr. Eugen Schmid der mobilisierten Menge vorführen wollte, hat den Absprung verpasst und hat die OB weiter im Depot. Ihm geht es wie so vielen, die nicht rechtzeitig aus dem Neuen Markt, aus mogel.com etc... rausgingen. Dumm gelaufen.
Anton Brenner, Tübinger Linke / PDS
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Nr.8: Mittwochspalte 30. Oktober 2002
Spiele statt Brot
Um den Biotechnologie-Park Obere Viehweide ist es ruhig geworden. Es lebe die TÜ-Arena! Was macht die Neue Mitte, nachdem ihr der Neue Markt abhanden gekommen ist? Sie steigt ins Spaßmobil und kümmert sich um gute Laune. 75000 Euro mussten die Stadtwerke sponsern, 5 Minuten, bevor die Wired Minds von der Bildfläche verschwanden. Die Oberbürgermeisterin und ihr Gemahl nahmen die Huldigungen der Fans entgegen. Damit andere Stadträte nicht auch auf die Idee kommen, die Schiebereien nicht länger mitzumachen, sollte ich stellvertretend und vorbeugend abgestraft werden: Aktion Geheimrat statt Aktion Gläsernes Rathaus.
Andere Städte haben ihre Stadtwerke verkauft und das Geld an der Börse verzockt. Tübingen verheizt das nicht vorhandene Geld in Subventionen und Prestigebauten und lässt die Stadtwerke dafür bezahlen. Automatische Parkhäuser sind im Unterhalt mehrfach teurer als konventionelle, die Bewohner des Französischen Viertels sollen damit erzogen und bestraft werden. Das senkt schon jetzt den Wert der dortigen Wohnungen, macht sie schwer verkäuflich und beschert den Stadtwerken ein dauerndes Defizit. Die TÜ-Arena sollte erst 6 Millionen € brutto kosten. In der Ausschreibung wurden es 6,5 Millionen, dann wurde aus Brutto plötzlich Netto (ohne MWSt.), jetzt liegen wir bei 8,5 Millionen netto, da Brigitte dem feschen Münchner Architekten jeden Zusatzwunsch von den Augen abliest. Mit dem Ersatz des Kunstrasenplatzes sind dies 10,5 Millionen € brutto. Eine Steigerung von 75%. Die Unterhaltskosten betragen erfahrungsgemäß 10% der Investitionssumme. Träger soll eine städtische GmbH werden. Dafür kommen nur die Stadtwerke in Frage. Der Gewinn der Stadtwerke ist damit weg. Ihr Verkauf nur noch eine Frage der Zeit.
Mit 75 % Überziehung bei der TüArena bewegen wir uns auf dem untersten Russ-Scherer’schen Niveau. Die veranschlagten 126800 € für die weltweit berüchtigte Beraterfirma Arthur Andersen vermehrten sich klammheimlich auf 295600 € (Steigerung 133 %). Der Biotech-Prestigepark verschlang bisher statt 1,7 Millionen 7,4 Millionen € (Steigerung 335%). Nicht gerechnet sind dabei die laufenden Mietsubventionen und kropfunnötigen Vermarktungs-GmbH-Geschäftsführer (STERN & WIT).
Ach ja. Gespart wird auch. Bei Schulen. Kindergärten, Sportvereinen, Stadtteilen, Personal. Und: Es darf gespendet werden. Nachdem Spenden von Handel und Industrie durch die Höschele-Strafaktion ausgebremst wurden, stehen nun die begossenen Pudel mit den Sammelbüchsen auf dem Holzmarkt.
Anton Brenner, Tübinger Linke / PDS
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Nr.9: Mittwochspalte 02. April 2003
Neue Katastrophen
15 Jahre lang zahlt die Stadt Tübingen jährlich 660 000.-€ Miete für das erste Gebäude des Bio-Technologie-Zentrums Obere Viehweide. Mit etwas Glück können 40% der Fläche vermietet werden. Natürlich nicht zur Kostenmiete von 16,62 €/qm. Zuschussbedarf jährlich ca. 500 000 €. Etwa 8 Millionen € hat Tübingen für dieses Projekt bereits durch den Schornstein gejagt. Mit einer 62-prozentigen Abwasserpreiserhöhung beteiligen sich die Tübinger an den Investitionen. Das jährliche Defizit zahlen die Kinder und die jungen Wissenschaftlerinnen, die ihre Kinder in guten Händen wissen wollen. Tübingen zerstört seinen Standortvorteil. Welche junge High-Tech-Firma will schon in eine Stadt ziehen, wo die im Europavergleich ohnehin mickrige Kinderbetreuung weiter zurückgefahren wird? Der Investitionshaushalt der meisten Tübinger Schulen steht wegen der Biotech-Pleite auf Null. Tübingens Schulen verlottern. Schüler und Lehrer werden weiter karzinogenem Staub und Baustoffen ausgesetzt. Die Schulleiter haben bei der geheimen Pfrondorfer Streichrunde kein Rederecht. Der zuständige Ausschuss wurde abgesagt.
Werden wenigstens neue Arbeitsplätze in dem halb leerstehenden Gebäude geschaffen? Kein einziger! Ortsansässige Firmen werden aus privaten Mietverhältnissen abgeworben. Von 3500 bis 4000 neuen Arbeitsplätzen war die Rede. Gewerbliche Arbeitsplätze wie beim Maschinen-Majer galten Russ-Scherer und Riethmüller als entbehrlich.
Geht die Rathausviererbande angesichts des Desasters in sich?
Wird die Frau Oberbürgermeisterin durch Schaden klüger? Wird der Erste Bürgermeister ("Mir ist es egal, wer unter mir Oberbürgermeisterin ist") kleinlauter? Denkt Dietmar Schöning, der emsige parlamentarische Geschäftsführer der Rathausmehrheit, und produziert weniger Papier? Merkt der Stadtregent und HGV-Napoleon Riethmüller überhaupt noch, was um ihn herum vorgeht?
Sie merken nichts. Zu sehr sind sie damit beschäftigt, neue Katastrophen vorzubereiten. Automatische Parkhäuser mit Millionen-Folgekosten, Preisexplosionen bei der Tü-Arena, ein neuer Defizitbringer "EcoCity Derendingen".
Fortschritte jedoch macht das Geschäftsführer-Einstellungsprogramm. Nach den Stadtwerken eine Verdreifachung bei der Wirtschaftsförderungsgesellschaft. Eine Stadtmarketings-Gesellschaft soll folgen, wenn die Kommunalwahl in einem Jahr dem Spuk kein Ende bereitet.
Anton Brenner, Tübinger Linke / PDS
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Nr.10: Mittwochspalte 11. Juni 2003
Toleranz
Wenn die Tübinger Stadtregierung wirtschaftlichen Druck ausübt, um Stadträte politisch gefügig zu machen, kritisieren wir dies ebenso wie die in Tübingen heimische Klientel-, Vetterles- und Bäsleswirtschaft. Für intolerant halten wir Versuche, einen politisch nicht genehmen Bürgermeister beruflich zu vernichten, unserem CDU-Kollegen Kost die Ehre (Schöffenwahl) abzuschneiden oder öffentlich zu Geschäftsboykotten aufzurufen.
Vor 70 Jahren, am 15. Mai 1933 schloss der Tübinger Gemeinderat einstimmig, lange vor anderen Städten, "Juden und Fremdrassige" vom Besuch des Freibads aus. Kurz davor war der Gemeinderat analog zum Reichstagswahlergebnis "umgebildet" worden. Der Tübinger KPD-Stadtrat Hugo Benzinger saß schon zusammen mit Ferdinand Zeeb im Konzentrationslager Heuberg. Die Tübinger Chronik berichtete am 9.5.1933: "Die Fraktion, die lediglich der Opposition wegen auf dem Rathaus war, nämlich die kommunistische, ist Gott sei Dank verschwunden. Sie war es, die jedem anständig Denkenden die Freude an der Gemeindepolitik vergällt hat." Eine Woche später hieß es in der Chronik: "Die Zahl der Tübinger Gemeinderatsmitglieder ist abermals um drei verkleinert worden. Die Sozialdemokratische Fraktion ist, nachdem sich die Ortsgruppe der Partei aufgelöst hat, abgetreten. Damit ist das Kollegium jetzt vollständig marxistenrein." (Ausgerechnet ein Sozialdemokrat nimmt heute diese Wortwahl wieder auf und spricht vom "Bedürfnis, den Saal zu lüften".)
12 Jahre später machte die französische Militärregierung die unlängst noch als Kommunisten inhaftierten Karl Kammer und Ferdinand Zeeb zu Leitern des Polizeiamts und der Kriminalpolizei. Sie vergalten nicht Gleiches mit Gleichem, sondern halfen vielen einfachen NSDAP-Mitgliedern. Der Kommunist Hebsacker und der Sozialdemokrat Müller bekamen die Zeitungslizenz und machten aus dem Schwäbischen Tagblatt eine der liberalsten und tolerantesten Zeitungen.
Am 7. Mai 1946 berichtete das Schwäbische Tagblatt über eine Sitzung der Tübinger CDU und deren Programm: "Also steht eine Lösung zur Diskussion, in der sich marxistische Wirtschaftskritik mit christlicher Gerechtigkeit verbindet, ausgearbeitet von schwäbischer Gründlichkeit." Auf dieser Basis könnten wir uns sogar ein gemeinsames Leitbild vorstellen.
Anton Brenner, Tübinger Linke / PDS
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Nr.11: Mittwochspalte 29. Oktober 2003
Das Matthäus-Prinzip
"Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat." (Mt 13,12)
Eine Hardcore-Auslegung des Matthäus-Prinzips bestimmt das Handeln der Neuen-Mitte-SPD im Tübinger Rathaus. Mein Vorschlag im Verwaltungsausschuss, nicht bei den untersten Lohngruppen, sondern bei den Zulagen der städtischen Geschäftsführer, der OB und der Beigeordneten mit Sparen anzufangen, stieß auf blankes Entsetzen. Nach dem, was sie arbeite, jammerte die Oberbürgermeisterin zum Herzerbrechen, müsste sie schon längst nach der Besoldungsgruppe B 7 statt nach B 6 bezahlt werden. Die Arbeiter, bei denen die geringfügige Zulage gekürzt werden soll, erhalten 1748 Euro im Monat Grundlohn. Der B 6 Gehalt der OB beläuft sich auf 7064 € (B 7 wären 7432 €). Zudem erhalten die OB und die Beigeordneten eine Zulage von 7 %. Auf die wollen sie nicht verzichten. Dafür werden die untersten Lohngruppen geschröpft. Und die SPD wird nicht schamrot.
Alle sollen sparen? Weit gefehlt. Wer zum Freundes- oder Anhängerkreis der Oberbürgermeisterin gehört, über dem wird das Füllhorn eines Sozialstaats neuer Art ausgegossen. Dem einen baut die öffentliche Hand (die TTR) eine Kneipe für 400 000 Euro auf der Oberen Viehweide. Und da der Kneipenbau zum Kerngeschäft der Öffentlichen Hand und der früher "gemeinnützigen" Wohnungsbaugesellschaft gehört, darf sich ein weiterer auf das von der GWG finanzierte Casino freuen.
Für Freunde wird auch jede Konkurrenz verhindert. H&M darf nicht mit junger und preiswerter Mode nach Tübingen, das walte der HGV mit Zinser im Vorstand. Die Freundschaftsdienste werden immer offensichtlicher und dreister. Wer zu ihrem Freundeskreis gezählt wird, muss mehr um seinen Ruf fürchten als ihre Gegner: Gell, Frau Schwitalla! Was soll das Kino-Verbot im Französischen Viertel? Die verärgerten Musterstadtteil-Bewohner wetzen doch nicht zum Kino-Lamm oder Porno-Paul in die Altstadt. Die Alternative heißt doch Pantoffelkino.
Unterliegt das alles nicht der Geheimhaltungspflicht? Darf es überhaupt eine Opposition geben? Brigittes Location-Ulf forderte im Gemeinderat allen Ernstes, es dürften nur noch Anträge gestellt werden, die eine Mehrheit bekommen. Und keiner hat gelacht.
Anton Brenner, Tübinger Linke / PDS
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Nr.12: Mittwochspalte, 10. März 2004
Das Jammern der Jasager
Fünf Minuten vor der Wahl fallen fast alle über unsere Oberbürgermeisterin her. Jahrelang haben sie Ja und Amen gesagt und dafür gesorgt, dass Brigitte Russ-Scherer so wurde. Wenn jetzt manche jammern, dass die OB sie als Jasager genauso schlecht behandelt wie ihre Gegner, wird sie mir fast sympathisch. Mit vielen Russ-Scherer Wählern hatte ich 1998 gehofft, sie würde sich als Frau von außen von keinem der Tübinger Klüngel vereinnahmen lassen, - vergeblich. Jetzt ist sie deren Gefangene. Wenn sie letztlich scheitert, werden ihre Lobhudler noch mehr über sie herfallen als jetzt über mich. Die Steigerung von Erzfeind heißt Parteifreund.
Intelligente Standortpolitik heißt heute: Maßvolle Steuern und Gebühren, gute Kinderbetreuung und Schulen, kreativ-kritische Kultur. Dann kommen junge Firmen und junge WissenschaftlerInnen nach Tübingen. Doch Tübingen spart hier, um eine Subventions- und Leuchtturm-Protzkultur von gestern bezahlen zu können. Andere Städte kämpfen um junge Familien. In Tübingen gelten Besucher als unerwünscht (Strafzettel, Parkgebühren) und junge Familien als Störfaktoren (die Altstadt sei nicht der richtige Wohnort für Familien mit Kindern, meinte die OB). Die Tübinger entscheiden am 13. Juni, ob das so weitergeht.
Die SPD-Fraktion verehrt ihren altbackenen übermächtigen SPD-Staat mit seinen Tübinger Leuchttürmen in Gestalt der Oberbürgermeisterin und preist sie als „strategisch, mutig, gescheit, fleißig, überlegen und attraktiv“ (SPD-Leserbrief vom 4.3.04). Wer so eine heiligmäßige Figur kritisiert, kann nur der Satan selbst sein: So werde ich als Panscher, Lügner, Hetzer und je nach Jahreszeit als Tübinger Möllemann, Exstalinist, Schill oder Kardinal Ratzinger beschimpft.
Es geht am 13. Juni nicht um die Oberbürgermeisterin. Auch nicht um die drei Proporzbürgermeister, die beim neuen Fachbereichsmodell keine Funktion mehr haben und bis zum Ablauf ihrer Amtszeit als Grußauguste ihr Gnadenbrot verzehren.
Nicht nur der bessere Teil der Tübinger SPD möchte eine andere Politik. Soziale Politik ist klüger, erfolgreicher und moderner. Autos kaufen keine Autos. Eingesparte Mitarbeiter und ausgenommene Bürger lassen die Tübinger Geschäfte nicht brummen.
Die Wähler denken nicht mehr in alten Schablonen. Die Lager lösen sich auf. Bei Kommunalwahlen gelten sowieso andere Gesetze. Besonders in Tübingen gönnen viele den Jasager-Parteien eine Denkpause, auch solche, die nie im Leben bei Land- und Bundestagswahlen links oder die PDS wählen.
Anton Brenner, Stadtrat der Tübinger Linken / PDS
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Nr.13: Mittwochspalte 19. Mai 2004
Wahlkampfhölle vor Himmelfahrt
Sich selbst versorgen, aber das Zimmertheater schließen wollen: Die Wählervereinigung WUT erntete (Vera) Sturm auf diesen doofsten Anbiederungsversuch an den Stammtisch. Gott sei Dank ist morgen Himmelfahrt und der sonst fast ausschließlich von der Oberbürgermeisterin bestrittene Wahlkampf fährt in die Schulferien.
Die Programme aller sieben Wählervereinigungen zur Wahl am 13. Juni, dem Festtag des heiligen Antonius von Padua, sind gut. Der Weg in den Kreis- und Gemeinderat ist mit guten Vorsätzen gepflastert.
Groß ist die Übereinstimmung aller Gruppierungen im Rathaus. Jeder stimmte schon mit jedem. Auch wir stimmten 97% aller Vorlagen der Verwaltung zu, weil dort immer noch genügend vernünftige Leute arbeiten, so schwer es ihnen auch von oben gemacht wird.
Doch es ist nicht gut, wenn Einmütigkeit und Harmonie zu groß sind. Konkurrenz belebt das Geschäft und ohne Kritik „kann des Menschen Tätigkeit allzu leicht erschlaffen“, sagt Gott in Goethes Faust.
Das Rollenspiel wird geübt weitergehen. Wir müssen meist den Advocatus Diaboli spielen. Meister Schöning dagegen nimmt stets die Witterung einer sich abzeichnenden Mehrheit auf. Wenn die Verwaltungsspitze gar zu dusselig ist und die Kollegen einen mutigen Tag haben, bekommen auch wir einen Antrag durch.
In hellen Momenten begreifen viele im Stadtrat, dass sie fünf Jahre gegenseitig ausgespielt wurden. Die Fehlentscheidungen kosteten Millionen. In wichtigen Punkten zieht neuerdings Höschele die CDU ins Russ-Scherer-Lager, zur SPD-Fraktion sage ich (wie Dr. Eugen Schmid zur OB-Eklat-Rede) lieber nichts, WUT und Russ-Scherer sind ein gegenseitiger Versorgungsfall und die UFW wurde zum Grundsteuer-Erhöhungs-Trauerfall und leichten Beute der Oberbürgermeisterin. Es droht eine CSWU-Mehrheit. Listen-Wähler von CDU, UFW und WUT müssen fürchten, zum Stimmvieh für Russ-Scherer zu werden.
Wir können weiter für ein „gläsernes Rathaus“ sorgen, wenn nicht nur wir drei Stadträte panaschiert (auf andere Listen übertragen) und kumuliert (3 Stimmen je Kandidat) werden, sondern auch die ganze Liste der TÜL/PDS gewählt wird. Entscheidend für unsere Wiederwahl ist die Gesamtstimmenzahl der Liste. Das wird manchen aus nicht lokalpolitischen Gründen etwas schwer fallen. Die Wahl ist geheim. Sie können uns in Stadt und überall im Kreis Tübingen der Oberbürgermeisterin an den Hals wählen: Als roten Schal, der beißt.
Anton Brenner, TÜL/PDS