Mittwoch, 8. Dezember 2004
Oberbürgermeisterin Brigitte Russ-Scherer will Preisgeld für Tübinger Nazi-Villa. Stadt der Wissenschaft 2006
"Etwa 20 000 Euro kostete die Bewerbung Tübingens als Wissenschaftsstadt 2005. ... teure externe Beratung und Formulierungshilfe (Beate Rau) wurden eingekauft. Der Knaller des Konzepts war ein Haus des Wissens im Haus des Obernazis und Ehrenbürgers Theodor Haering. Fundamentales Wissen, wie man Kuchen backt und „warum man Bäume im Winter fällt“ (Russ-Scherer) sollte darin den nachfolgenden Generationen übermittelt werden. Dieser Kelch ging an uns vorüber." Dies schrieb Stadtrat Anton Brenner im April 2004.

Jetzt bewirbt sich Tübingen als Stadt der Wissenschaft 2006 mit derselben Vorlage. Die erneute Bewerbung mit dem alten Konzept kostet nur 500 Euro (was bei der Oberbürgermeisterin Russ-Scherer auch 5000 Euro heißen kann). Die Chancen sind groß, da Tübingen mit dem Blödsinn bei der letzten Runde den 2. Platz belegt hat und jetzt als einzige Stadt aus Baden-Württemberg ins Rennen geht. Falls Tübingen gewinnt, erhält die Stadt eine zweckgebundene Förderung von 125 000 Euro. Das klingt gut - doch der Zweck, vor allem das Theodor-Haering-Haus als Haus des Wissens, ist umstritten.

Der für seine widerwärtigen rassistischen und antisemitischen Tiraden bekannte kinderlose Professor Theodor Haering hat das Haus zur Verzweiflung seiner kinderreichen Verwandschaft der Stadt vermacht, weil ihm der damalige Tübinger Oberbürgermeister Hans Gmelin, weiland Stellvertreter des NS-Statthalters in Bratislava Ludin, dafür die Ehrenbürgerwürde versprochen hat. 125 000 Euro Preisgelder im Jahr 2006 für ein Haus des Wissens mit dem zweifelhaften Ehrennamen Theodor Haering würde nicht nur die Stadt Tübingen blamieren.

Es besteht der Vorschlag das Theodor-Haering-Haus in Simon-Hayum-Haus umzubenennen. Hayum war Rechtsanwalt und Stadtrat in Tübingen und entkam knapp dem Holocaust. So könnte Tübingen einer sicheren Blamage im Diskussionsprozess um die "Stadt der Wissenschaft 2006" entgehen, ob die Stadt nun die 125 000 Euro bekommt oder nicht. Vielleicht wäre es auch gut, zusammen mit der Tübinger Geschichtswerkstatt das Konzept für das "Haus des Wissens" um den Aspekt der Lebensgeschichte der Tübinger Täter und Opfer, Theodor Haering und Simon Hayum, zu erweitern.

Noch einige Hinweise:
1.http://www.information-philosophie.de/philosophie/heidegger1945.html

Alte Heidegger-Knappen hatten gleich nach Kriegsende versucht, ihren Meister aus Freiburg aus der Schußlinie zu bringen, indem sie andernorts seine Berufung betrieben - in Tübingen wie auch in Göttingen. Im Frühsommer 1945, zwei Monate nach dem Ende des Nazi-Reichs, schrieb der kommissarische Dekan der Philosophischen Fakultät Heidelberg, Rudolf Stadelmann, 43, seinem verehrten Martin Heidegger, ob er sich vorstellen könne, an der Eberhard-Karls-Universität zu lehren. In Tübingen waren nämlich zwei philosophische Lehrstühle zu besetzen, darunter auch der Königsthron, der Lehrstuhl für Systematische Philosophie, den der politisch belastete Theodor Haering soeben hatte räumen müssen.

2.http://iasl.uni-muenchen.de/

In der Philosophie wollte etwa Theodor Haering "nach der Beziehung von Rasse, Volk und Kultur, insbesondere der Geisteskultur eines Volkes" fragen und dabei "die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der deutschen und europäischen Philosophie" behandeln, insofern sich hier "in der Tat ganz besonders deutlich die Parallele zu den rassisch-völkischen Grundlagen, in Gemeinsamkeiten wie Unterschieden aufzeichnen" lasse (Hausmann, 221).

3.www.zollernalbkurier.de/artikel/21133 - 9k - Im Cache

Balingen, 29.11.2003
Gerade 19-jährig war er, wie Jens es in dieser Woche salopp formulierte, "per Generalwisch" zum NSDAP-Mitglied geworden. Er hatte es all die Jahrzehnte vergessen. Für ihn offensichtlich nicht weiter schlimm, denn, so zitierte das Tübinger Tagblatt (26. November) den Professor, "wenn er damals als Jugendlicher einen Fehler gemacht haben sollte, dann habe er ihn weiß Gott wieder gut gemacht".

Dennoch droht die Angelegenheit unausweichlich zum Politikum in der Uni-Stadt zu werden, denn morgen just vor einem Jahr verliehen die Tübinger ihrem Vorzeige-Gelehrten mit Weltruf die Ehrenbürger-Würde.

Und just aus dortigen Stadtratsreihen kam in dieser Woche schnell die Frage, wie denn die Stadt gedenke umzugehen mit der Tatsache, "ein ehemaliges NSDAP-Mitglied zum Ehrenbürger gemacht zu haben." Noch bevor die Politik die Antwort darauf gibt, versuchte gestern die Tagblatt-Redaktion das Bild Walter Jens' "im Gefecht der Feuilletons" zurecht zu rücken. Zunächst mit Verweis auf Jens' Eingeständnis im Jahre 1993/94, "Mitglied der Hitlerjugend" gewesen zu sein, ein "Angepasster". - "Gleichwohl: Seine jüdischen Schulfreunde hätten sich auf ihn verlassen können," schreibt der Redakteur als eine seiner recherchierten "Lektionen in NS-Geschichte". Und wer gar die Ehrenbürgerschaft Jens' in Frage stellen wolle, dem rät derselbe Schreiber, "sich . . . in die Schriften eines Theodor Haering zu versenken, eines ,Blut- und Boden'-Professors an der hiesigen Universität, der - so dessen Wortwahl - ,Philosophie als geistige Rassenkunde' betrieben wissen wollte." Selbst er wurde Tübinger Ehrenbürger und, so der Tübinger Journalist über seine Stadt, "weil sie dem geschenkten Gaul nicht gerne ins Maul schaut, schmückt sich die Stadt mit einem Theodor-Haering-Haus."