Dienstag, 14. Dezember 2004
Rede von Gerlinde Strasdeit auf der Tübinger Montagsdemo am 13.12.04
Rede von Gerlinde Strasdeit, Stadträtin der Tübinger Linke/PDS auf der Tübinger Montagsdemo am 13.12.04


Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Hartz IV ist im Tübinger Rathaus angekommen.

Die Vorlage der Stadtverwaltung sieht vor, dass im kommunalen Bereich erstmal 30 Ein-Euro-Jobs eingerichtet werden und zwar im Stadtarchiv, - in der Stadtbücherei, - im Stadtmuseum, - in Kindertageseinrichtungen, - in der ergänzenden Schulbetreuung, - in der Ganztagsschule, - im Friedhofswesen u.s.w.

In der Vorlage heisst es, diese Zusatzjobs dürften reguläre Beschäftigungsverhältnisse nicht verdrängen.

Die Gemeinderatsfraktion der Tübinger Linken/ PDS sagt: Genau das ist doch der Fall. In diesen Bereichen wurden schon zig Stellen gestrichen. Mit den Ein-Euro-Jobs werden jetzt sogar bestehende geringfügige Arbeitsverhältnisse kaputt gemacht. Dies trifft vor allem weibliche Beschäftigte und Alleinerziehende.

In der Vorlage heisst es: Diese Ein-Euro-Jobs müssen im öffentlichen Interesse liegen

Wir sagen: Nein, Ein-Euro-Jobs liegen nicht im öffentlichen Interesse. Nicht nur Amtsleiter, Direktoren, Oberbürgermeister und Chefärzte, - auch Putzkräfte, auch Küchenhilfen, Friedhofsgärtner und Archivare leisten hier in der Stadt gesellschaftlich notwendige Arbeiten. Diese Tätigkeiten müssen geachtet werden. Wir wollen keine Sklavenarbeit. Auch diese Arbeiten müssen so bezahlt werden, dass die Menschen in Würde davon leben können. Es gibt keine Arbeit, die nur einen Euro wert ist.

In der Vorlage heisst es: Auch bei privaten Trägern könne öffentliches Interesse gegeben sein, nach dem SGB II gäbe es keine Einschränkungen für Zusatzjobs.

Wir fragen: was heisst das? Wird es auch in der Privatwirtschaft das Tarifgefüge mit Ein-Euro-Angeboten zermalmt? Gibt es zukünftig auch Ein-Euro-Jobs bei der Walter AG, am Uniklinikum, in sensiblen Pflegebereichen, oder beim Realkauf oder beim Osiander? Wo beginnt und wo endet hier das sogenannte öffentliche Interesse?

Mit unserem Antrag in der heutigen Ratssitzung fordern wir die Stadt auf, in ihrem Bereich auf Ein-Euro-Jobs zu verzichten. Niemand ist gesetzlich gezwungen, diese einzurichten. Und wir fordern, dass die freien Träger nicht noch mit Zuschüssen geschmiert werden, wenn sie diese sogenannten Arbeitsgelegenheiten einrichten.

Wenn diese Art unwürdiger Beschäftigungsverhältnisse dennoch kommt, werden wir nicht Ruhe geben. Über den Beirat der vorgesehenen Arbeitsgemeinschaft zwischen Kommune und Arbeitsagentur muss es dann Druck geben für Verbesserungen.
Widerstand ist immer konkret.

Beispiel: Die Kommunen haben ebenfalls Entscheidungsfreiheit bei den sogenannten Mehraufwandsentschädigungen. Wer Ein-Euro-Jobs einrichten darf und dafür Zuschüsse beansprucht, sollte diese 300-500 Euro monatlich direkt weitergeben an die ALGII-Bezieherinnen, quasi als Lohnersatz für geleistete Arbeit.

Noch ein Beispiel: Wir werden nicht zulassen, dass die Ermahnung zum pünktlichen morgentlichen Antritt bei der Ein- Euro-Arbeitsstelle schon als Qualifizierungsmassnahme verkauft wird. Wir kämpfen für echte berufliche Weiterbildungsmöglichkeiten, die einen Übergang zum ersten Arbeitsmarkt eröffnen.


Wir bleiben dabei, - Hartz IV ist Armut per Gesetz, - Hartz IV schafft keine neuen Arbeitsplätze – Hart IV bedeutet auch für Nichtarbeitslose Lohndumping - Hartz IV verletzt den Grundsatz der Sozialstaatlichkeit, - Hartz IV muss weg und ersetzt werden durch eine Politik, die neue Arbeitsplätze schafft, vorhandene Arbeit gerechter aufteilt, Massenkaufkraft stärkt und den gesellschaftlichen Reichtum gerechter verteilt.

Solange dieses Gesetz in Kraft ist, werden wir daran weiterkratzen.

Hartz IV ist ein Bundesgesetz, aber es wird auf kommunaler Ebene exekutiert. Deshalb unser zweiter Antrag: es darf keine Zwangsumzüge geben. Wer langzeitarbeitslos ist, darf nicht auch noch aus der Wohnung gedrängt werden. Auch hier hat die Kommune politischen Handlungsspielraum. Unseren Antrag dazu liess die Oberbürgermeisterin nicht zu, weil der Kreistag zuständig sei. Ich sage: wir alle sind zuständig, dass Zwangsumzüge wegen Hartz IV nicht stattfinden können. Wir alle sind zuständig, ob im Kreistag, ob im Gemeinderat oder hier auf der Strasse.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Hartz IV ist zum Wort des Jahres 2004 geworden. Für das neue Jahr 2005 wünsche ich mir ein gänzlich anderes Wort des Jahres. Es sollte heissen: „sozialer Widerstand“.