Donnerstag, 8. Januar 2004
Antrag zu Electronic-Government / E-Democracy
18. 11. 2002

1. Auf der Internet-Seite der Stadt Tübingen sind ab sofort die Gemeinderatsvorlagen für die öffentlichen Beratungen einschließlich der Stellungnahmen der Gemeinderatsfraktionen und der betroffenen Bürger (Bürgerinitiativen) abzurufen. Die Niederschriften der öffentlichen Sitzungen sind ebenfalls auf der für alle Bürger zugänglichen Gemeinderatsseite der Stadt Tübingen einzustellen.

2. Bis auf Personalvorberatungen sind alle Sitzungen des Gemeinderats und der Ausschüsse öffentlich.

Begründung:

"Wie schwierig es ist, traditionelle - und zum Teil tradierte - Verfahrensweisen zu überwinden, um die Verwaltungsmodernisierung voran zu treiben, ist allen Beteiligten klar. ... Das Recht auf freien Informationszugang, in den USA bereits seit über 30 Jahren im Freedom of Information Act garantiert, bricht dieses informationelle Grundrecht mit den traditionellen Prinzipien der Amtsverschwiegenheit und der Geheimhaltung verwaltungsinterner Vorgänge. Informationsfreiheitsgesetze stellen die Regelung des Informationsflusses zwischen Staat und Bürger endlich vom Kopf auf die Füße. Nicht mehr der Bürger muss nachweisen, dass er ein Recht darauf hat, bestimmte Informationen einzusehen, sondern der Staat muss im Zweifelsfalle begründen, warum er bestimmte Informationen als vertraulich bzw. geheim einstuft oder diese aus datenschutzrechtlichen Erwägungen zurückhält. ... In Deutschland muss sich das Vertrauen in die kommunikative Vernunft einer sich online wie offline selbst organisierenden Bürgergesellschaft offenbar erst noch entwickeln. ... Das Ziel ist nicht die Implementierung einer modernen Infrastruktur in der öffentlichen Verwaltung - dies ist nur eine notwendige Vorbedingung-, sondern die Förderung einer selbstbewussten und aktiven Bürgergesellschaft."

"Mittlerweile besteht weitgehend Einigkeit, dass gerade die Information und Aufklärung an der Basis der Gesellschaft einen bedeutende Rolle für den Willensbildungsprozess der Bürger und ihre aktive Einbindung in die Gesellschaft spielt. Die umfassende und objektive Information der lokalen Öffentlichkeit ... ist zentral für die Herstellung eines gut unterrichteten Elektorats und die Integration des Einzelnen in die ihn umgebende Umwelt."

"In den von Hart-Teeter durchgeführten Befragungen von Internet-Nutzern wird vor allem die Accountability - also eine höhere Transparenz und Zurechenbarkeit staatlichen Handelns, die zugleich zur Korruptionsbekämpfung beiträgt - als größter Nutzen von E-Government benannt. ...
In diesem Sinne sind die Kriterien Transparenz und Partizipation als anzustrebende Ziele sui generis zu betrachten: Sie müssen nicht primär daran gemessen werden, ob sie dazu beitragen, Kosten zu sparen oder Prozesse zu beschleunigen."

"Denn die Bürger erwarten mehr von ihrer Regierung als bunte Websites und Online-Formulare für die Steuererklärung. Sie fordern Transparenz der öffentlichen Hand und sie wollen beteiligt werden."

"E-Government ist ein Standortfaktor. Durch die Nutzung des Internets für die Interaktion zwischen Staat und Bürger wird auch die Nutzung der neuen Medien insgesamt gesteigert und zunehmend selbstverständlich. Dies führt wiederum zu einem Schub Richtung Mediengesellschaft, was industriepolitisch und im Hinblick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Bedeutung ist."

Außerdem ist die Lokalpresse immer mehr überfordert, die Diskussions- und Entscheidungsprozesse wiederzugeben. Eine Filterung der Diskussionsprozesse durch die Presse genügt vielen mündigen Bürgern nicht mehr, sie möchten sich direkt informieren.

(Die Zitate sind entnommen aus: Stefan Friedrichs / Thomas Hart / Oliver Schmidt. "Balanced E-Government": Visionen und Prozesse zwischen Bürgernähe und Verwaltungsmodernisierung. Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zu "Das Parlament", 30. 09. 2002. Seiten 23 f, 20 f, 18 f, 16 und 13. Die Autoren sind Projektleiter der Bertelsmann-Stiftung)

Für die Fraktion der Tübinger Linken/PDS: Anton Brenner