Dienstag, 20. Januar 2004
Übrigens ... Erfolg ohne Väter
Schwäbisches Tagblatt, Di 21. Januar 2004

Wenn der Erfolg viele Mütter und Väter hat, dann ist der gestern Abend beschlossene Tübinger Haushalt für das Jahr 2004 ein glatter Misserfolg. Denn niemand, keine Fraktion und nicht einmal die Stadtverwaltung, wollte sich zu ihm bekennen - obgleich er doch soeben mit Mehrheit erfolgreich verabschiedet wurde.

Einem Findelkind gleich kam also der Etat über den Rat und bot auch sonst wiederholt Anlass für märchenhafte Formulierungen. Die Kompromiss-Bemühungen des FDP-Stadtrats Dietmar Schöning durchaus angemessen würdigend, sprach etwa der CDU-Fraktionsvorsitzende Ulrich Latus das Werk "Russ-Schöning" zu. Worauf sich der Liberale schlagfertig revanchierte: Der Herr "Pi-Latus" dürfe ruhig seine Hände in Unschuld waschen, das gräme ihn gar nicht.

Im Ernst ist die nun im zweiten Anlauf zustande gekommene Einigung nichts anderes als ein dürrer Kompromiss, das kleinere Übel. Aufbruch(stimmung) stand nicht zu erwarten. Abbruch (der Verhandlungen) war die schlechtere Alternative. Dieser Enthaltungs-Einsicht beugten sich letztlich hinreichend viele Fraktionsmitglieder von WUT und UFW. Damit schwächten sie das in erster Linie von CDU, FL und TÜL/PDS gebildete Lager der Ablehner und ließen auf diese Weise das Budget passieren.

Mehr noch als die vorweihnachtliche Beratung war die gestrige Etat-Debatte von wahltaktischen Überlegungen geprägt. Die Mehrheit von AL, SPD und FDP hielt es im Hinblick auf die Gemeinderatswahl am 13. Juni für angeraten, die allgemeine Finanzmisere lokal einzudämmen.

Auf der anderen Seite des Hauses mochten die Tübinger Christdemokraten - anders als ihre Parteifreunde im Berliner Vermittlungsausschuss - dafür keine (Mit-)Verantwortung übernehmen. Ähnlich der TÜL/PDS werden sie im Frühsommer als Rathaus-Opposition vor die Wähler treten und nicht müde werden zu betonen, dass es die Anderen waren, die mit aller Gewalt an der Grundsteuer drehten.

Um knappe zehn Prozent erhöhte der Rat diese, Hausbesitzer und indirekt auch Mieter treffende Abgabe. Als Schreckgespenst wird sie freilich nur dem erscheinen, der nicht nachrechnet: Die Kosten der Gesundheitsreform, allen voran die vierteljährlich zu entrichtende Praxisgebühr, treffen die Kassenpatienten härter.

Unterm Strich sind es nicht höhere Abgaben, sondern die zahlreichen Abstriche bei den städtischen Leistungen und Zuschüssen, die den Haushaltsplan 2004 charakterisieren. Dass dies alles andere als eine angemessene Entlohnung für das Engagement aktiver Bürger darstellt, ja den Durchhaltewillen von Selbsthilfegruppen schwächen kann, ist das größere Risiko.

Eckhard Ströbel