Donnerstag, 4. März 2004
Gegenseitig ausgebremst
Reutlinger Generalanzeiger, Mi 3.3.04

Machtprobe - Tübinger Stadträte wollen bei der Organisation der Verwaltung mitreden. Oberbürgermeisterin lässt Antrag nicht zu. Jetzt wird die Rechtsaufsicht eingeschaltet

VON JOACHIM KREIBICH

TÜBINGEN. Aus der Sicht der Oberbürgermeisterin war's nur eine Formalie. Es gehe um einen "weiteren Zwischenschritt" zur Umsetzung der mit den Stadträten zur Genüge besprochenen Reform der Verwaltung, verkündete Brigitte Russ-Scherer am Montag. Eine Mehrheit des Gremiums sah es anders und verlangte Änderungen. Weil beide Seiten auf ihrem Standpunkt beharrten, kam es zur Machtprobe.

Schließlich bremsten sich die Kontrahenten gegenseitig aus. Die Rathaus-Chefin ließ den Antrag der Rats-Mehrheit nicht zur Abstimmung zu. Die Fraktionen verlangten eine Unterbrechung und entschieden dann: Das Thema wird vertagt, die Rechtsaufsicht beim Regierungspräsidium soll klären, ob dem Rat die Mitsprache verweigert werden kann. Brigitte Russ-Scherer kündigte an, sie werde in der Zwischenzeit dennoch mit der Umsetzung der Maßnahmen beginnen.

Wie in anderen Städten?

"Die Aufregung verstehe ich nicht." Kultur-Bürgermeister Gerd Weimer wollte schlichtend eingreifen, fand aber kein Gehör. Die Verwaltung soll effektiver werden, sie wird nach Fachbereichen geordnet. Das Beratungs-Unternehmen Andersen hat den Tübingern die Orientierung an Matrix-Organisation und Kompetenz-Linien verordnet. Wer bisher mit der Frauenbeauftragten oder der Umweltbeauftragten Kontakt aufnahm, wendet sich künftig an ein gleichnamiges "Kompetenz-Center." Nicht alle Stadträte sind mit der Neu-Organisation einverstanden.

Auf entschiedenen Widerstand stößt die Absicht der OB, dem Kulturamt unter anderem die Zuständigkeit für die Städte-Partnerschaften zu entziehen und dem Hauptamt zu übertragen. In den Augen von Bürgermeister Weimer, der der OB beisprang, handelt es sich dabei jedoch sogar um eine Aufwertung. "In anderen Städten ist das immer so gewesen."

Salami-Taktik

Eine Koalition aus CDU, AL, FL, FDP und PDS hält dies für wenig sinnvoll und plädiert vehement dafür, diese Aufgaben beim Kulturamt zu belassen. Den Kritikern missfällt außerdem, dass die OB Presse- und Öffentlichkeitsarbeit als "Aufgabe mit strategischer Bedeutung" definiert und dem künftigen "Kompetenz-Center" den ihr genehmen Zuschnitt verpassen will.

Für CDU-Fraktionschef Ulrich Latus steht fest: Russ-Scherer will sich eine Stabsstelle schaffen, wie sonst in Großstädten üblich. Für ihn ist die Weigerung der OB, den Gegenantrag abstimmen zu lassen, ein Ausdruck fehlender Souveränität.

FDP-Mann Dietmar Schöning glaubt ebenfalls, "die OB zimmert sich eine Stabsstelle". Er warnt davor, das Ganze mit einer Art Salami-Taktik voranzutreiben, scheibchenweise Zuständigkeiten zu verändern und den Stadträten das Mitspracherecht zu verweigern.

"Bürgermeister kann wegfallen"

Joachim Gellert ist ohnehin skeptisch, ob die Reform das bringt, was sich ihre Erfinder davon versprechen. Der FL-Mann sieht in der Vorlage das "Ergebnis eines ständig umgearbeiteten Wusts." Helga Vogel (AL) will nicht einleuchten, wieso das Hauptamt Aufgaben erhalten soll, für die das "gesamte Know-how beim Kulturamt versammelt ist." PDS-Sprecher Anton Brenner beurteilt die neue Fachbereichs-Struktur als "Mischmasch-Modell", das nicht zu Tübingen passt. "Hinter jedem Bürgermeister steht der Vermerk: kann wegfallen."

Bei SPD, UFW und WUT stieß der Kurs der OB auf Zustimmung. SPD-Mann Roland Glaser betonte: "Die Bündelung ist sinnvoll. Die Verwaltung muss wissen, wie sich interne Abläufe am besten verteilen lassen."

UFW-Sprecher Kurt Friesch befand kurz und knapp: "Wir haben nicht den nötigen Einblick." Hermann-Arndt Riethmüller erklärte für die WUT: "Wir fordern eine schlanke Verwaltung, dann können wir nicht die ganze Zeit drein reden." (GEA)