Donnerstag, 4. März 2004
Übrigens ... Watschenfrau für den Wahlkampf
Schwäbisches Tagblatt, Mi 3.3.04

Wer hat die Hosen an im Tübinger Rathaus - der Gemeinderat oder die Oberbürgermeisterin? Diese Machtfrage lauert immer im Ratssaal, wenn dort über Wohl und Wehe der Stadt entschieden wird. Und gelegentlich bricht sie so urplötzlich auf, dass man sich als Beobachter verwundert die Augen reibt und nach Gründen forscht, warum die beiden wichtigsten Organe der Gemeindeverwaltung wohl diesmal zusammengerasselt sein mögen.

So geschehen am Montag, als im Rat wieder einmal die Verwaltungsreform zur Debatte stand - einer Debatte, die über weite Strecken ausgesprochen friedlich verlief und dann in einer Detailfrage - aus Sicht der Oberbürgermeisterin jedenfalls unvermittelt zu einer "gespenstischen Diskussion" mutierte. Denn eigentlich war man sich absolut einig über die nächsten Schritte beim Umbau der Stadtverwaltung.

Mit Ausnahme der TÜL/PDS stimmten alle Fraktionen mit der OB überein, dass das Haupt- und das Personalamt zum "Fachbereich Interne Dienste" zusammengelegt und das Kulturamt titularisch zum Fachbereich Kultur aufgewertet werden sollen. Blieb nur noch die Winzigkeit zu klären, in welchem der beiden neuen Fachbereiche künftig die Städtepartnerschaften betreut werden sollen.

Ursprünglich war diese Aufgabe beim Hauptamt angesiedelt, erst in den 90er Jahren wies der damalige OB Eugen Schmid die Federführung dem Kulturamt zu - ohne den Rat zu fragen. Genauso selbstverständlich reklamierte jetzt Brigitte Russ-Scherer die Organisationshoheit für sich, die Hauptzuständigkeit für die Städtepartnerschaften in den "Fachbereich Interne Dienste" einzugliedern. Konkret geht es dabei um die Versetzung einer Sachbearbeiterin.

Die Oberbürgermeisterin, laut Gemeindeordnung allein für die "innere Organisation" der Verwaltung zuständig, hat schon wichtigere Rochaden angeordnet - und (fast) nie kam der Rat auf die Idee, dass ihn dies etwas anginge. Doch am Montag war alles anders: Da wurde die Verlagerung der Partnerschaftspflege samt Sachbearbeiterin plötzlich zum selbstherrlichen Übergriff auf die Rechte des Gemeinderats - mithin zum Casus belli.

Die Mehrheit - CDU, AL, FL und FDP - blies zur Attacke: Hier gehe es nicht nur um eine Stelle, sondern um eine neue Abgrenzung der "Geschäftskreise der Beigeordneten", und die sei nach der Gemeindeordnung zustimmungspflichtig. Es kam, wie es kommen sollte. Russ-Scherer blieb stur, erklärte den Antrag auf Abstimmung für unzulässig und kündigte an, dass sie, egal, was der Rat dazu meine, "das Nötige veranlassen" werde. Und genauso stur blieben ihre Widersacher: Sie verlangten - wie schon im Museumsstreit mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde drohend - eine Abstimmung, unterbrachen dann die Sitzung und weigerten sich hinterher, über das Gesamtpaket zur Verwaltungsreform abzustimmen.

Jetzt muss der Regierungspräsident, den nun beide Seiten als Schiedrichter anrufen, entscheiden und aller Voraussicht nach wird er Russ-Scherer Recht geben. Bleibt die Frage, was die vier Fraktionen am Montag umgetrieben hat. Vielleicht nicht nur, aber gewiss auch dies: Der Zoff passt ideal in die Wahlkampf-Strategie einiger Rathaus-Parteien, die sich inzwischen offenbar mit jeder Ohrfeige für die OB einen Sympathieschub im Wahlvolk ausrechnen. Das allerdings, ihre Stilisierung zur Watschenfrau, sollte Russ-Scherer zu denken geben. Sepp Wais