Dienstag, 9. März 2004
Zu viele Ruhetage auf den Friedhöfen
tuel-pds, 05:22h
Schwäbisches Tagblatt, Mo 8. März 2004
Die Tübinger Pfarrer beider Konfessionen protestieren gegen die Einschränkung der Bestattungszeiten
TÜBINGEN (sep). Ein jegliches hat seine Zeit, weiß man spätestens seit Salomo - das Lachen und Klagen, das Geborenwerden und Sterben. Für die Bestattung der Toten aber nimmt man sich auf den Tübinger Friedhöfen neuerdings nicht mehr so viel Zeit wie früher. Damit will die Stadt Geld sparen, doch dafür haben die evangelischen und katholischen Pfarrer kein Verständnis.
Das "Bestattungswesen" gehört seit Jahr und Tag zu den chronisch defizitären Bereichen der Stadtbaubetriebe. Allein 2002 legten sie bei den Beerdigungen weit über 100 000 Euro drauf. Um dieses Minus zu verringern, entschlossen sich Verwaltung und Gemeinderat im Dezember, die Fixkosten für das Friedhofspersonal nach unten zu drücken - und zwar mit einer deutlichen Einschränkung der Bestattungstermine auf allen Tübinger Gottesäckern: Seit Januar gibt es montags und mittwochs keine Erdbestattungen mehr. Und die Beisetzung von Urnen ist seither nur noch mittwochs möglich.
Dieser Beitrag zur Haushaltskonsolidierung rief prompt die Pfarrer auf den Plan: Mit einem Protestbrief wandten sich die evangelische Dekanin Marie-Luise Kling-de Lazzer und ihr katholischer Kollege Thomas Steiger an OB Brigitte Russ-Scherer und die Ratsfraktionen. Darin beklagten sie sich einerseits darüber, dass die Kirchen bei der Neuregelung der Bestattungszeiten weder angehört noch beteiligt wurden. Und zum anderen, machten sie klar, dass sie "die Entscheidung nicht akzeptieren" können: "Wir fordern die Stadt auf, die Beschränkungen (...) aufzuheben."
Dass die Kirchen in dieser Frage ein gewichtiges Wort mitzureden haben, steht für Kling-de Lazzer und Steiger außer Frage: "Bei über neunzig Prozent der Beerdigungen sind die Trauerfeiern christliche Gottesdienste." Deshalb sei es nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht der Kirchen, die Feier des Begräbnisses nach ihren "sinnvollen inhaltlichen Regeln" zu gestalten. "Sterben, Tod und Begräbnis", so heißt es in dem Brief weiter, "stehen in einem unlösbaren inneren Beziehungsverhältnis zueinander, das sich auch zeitlich manifestiert". Daraus leite sich die entscheidende Vorgabe für den Bestattungstermin ab: "Der Tag des Begräbnisses muss für die Trauernden in einer nachvollziehbaren Nähe zum Tod stehen - dies sind in aller Regel zwei bis fünf Tage." Und eben diese Frist, so die Sorge der Dekane, könne mit den neuen Bestattungszeiten in vielen Fällen nicht mehr eingehalten werden.
Im übrigen seien die Pfarrer(innen) weder "Dienstleister in Sachen Sterben/Tod" noch "Angestellte der Stadt oder eines Beerdigungsinstituts", die sich ungefragt fremden Regeln zu beugen hätten. Fazit: "Die Veränderung von äußeren Rahmenbedingungen bei Bestattungen, die für Pfarrer weit reichende Konsequenzen für ihre Arbeitszeit und -einteilung nach sich zieht, kann nur in gegenseitigem Einvernehmen geschehen."
Bürgermeister Eugen Höschele, der im Rathaus für die Stadtbaubetriebe und damit auch für die Friedhöfe zuständig ist, hat durchaus Verständnis für diese Position. Allerdings wünscht er sich, dass man angesichts der leeren Kassen auch den Sparkurs des Gemeinderats verstehen möge. Das Problem in der Kalkulation der Stadtbaubetriebe: Die Zahl der teureren Erdbestattungen ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurückgegangen: 1997 waren es noch knapp 400, 2003 nur noch 315. Im gleichen Zeitraum steigerte sich die Zahl der preisgünstigeren Urnenbestattungen von 135 fast bis auf 250.
Wenn man die - erst kürzlich kräftig erhöhten - Bestattungsgebühren in zumutbaren Grenzen halten wolle, so Höschele, bleibe der Stadt gar nichts anderes übrig, als auf diesen Trend zu reagieren, sprich: die städtischen Mitarbeiter auf den Friedhöfen optimal auszulasten und die Zeiten, in denen das Personal vorgehalten werden muss, einzuschränken. Trotzdem sollte seiner Ansicht nach das Thema im Rat noch einmal behandelt werden, zumal dies inzwischen auch die Fraktionen von SPD, UFW und TÜL/PDS gefordert haben. Zunächst aber will Höschele - am 7. Mai - den Konflikt in großer Runde mit allen Beteiligten (Friedhofsverwalter, Pfarrer, Bestattungsunternehmer, Gärtner und Steinmetze) besprechen.
Wie ein Kompromiss aussehen könnte, darüber möchten derzeit weder Höschele noch die beiden Dekane spekulieren. Mag sein, dass die vorletzte Änderung der Bestattungszeiten dabei eine Rolle spielt, aber wohl keine entscheidende: Vor zwei Jahren entschied der Gemeinderat auf Wunsch vieler Vereine in den Ortsteilen, die sich unter der Woche schwer tun, ihre Musikkapellen und Chöre am Grab zu versammeln, dass auf den Tübinger Friedhöfen auch samstags beerdigt werden soll.
Würde man den Samstag streichen, könnte die Stadt die Beerdigungstermine ohne zusätzliche Kosten wieder auf den Montag oder Mittwoch ausdehnen. Aber damit würde sich der Rat ziemlichen Ärger in den Dörfern einhandeln - und wenig Freude bei den Kirchen. Denn die Pfarrer in der Kernstadt fühlen sich samstags mit Trauungen, Seminaren und Gruppenterminen sowie mit den Vorbereitungen für den Sonntagsgottesdienst so ausgelastet, dass sie es bisher konsequent ablehnten, an diesem Tag auch noch zu Trauerfeiern anzutreten.
Die Tübinger Pfarrer beider Konfessionen protestieren gegen die Einschränkung der Bestattungszeiten
TÜBINGEN (sep). Ein jegliches hat seine Zeit, weiß man spätestens seit Salomo - das Lachen und Klagen, das Geborenwerden und Sterben. Für die Bestattung der Toten aber nimmt man sich auf den Tübinger Friedhöfen neuerdings nicht mehr so viel Zeit wie früher. Damit will die Stadt Geld sparen, doch dafür haben die evangelischen und katholischen Pfarrer kein Verständnis.
Das "Bestattungswesen" gehört seit Jahr und Tag zu den chronisch defizitären Bereichen der Stadtbaubetriebe. Allein 2002 legten sie bei den Beerdigungen weit über 100 000 Euro drauf. Um dieses Minus zu verringern, entschlossen sich Verwaltung und Gemeinderat im Dezember, die Fixkosten für das Friedhofspersonal nach unten zu drücken - und zwar mit einer deutlichen Einschränkung der Bestattungstermine auf allen Tübinger Gottesäckern: Seit Januar gibt es montags und mittwochs keine Erdbestattungen mehr. Und die Beisetzung von Urnen ist seither nur noch mittwochs möglich.
Dieser Beitrag zur Haushaltskonsolidierung rief prompt die Pfarrer auf den Plan: Mit einem Protestbrief wandten sich die evangelische Dekanin Marie-Luise Kling-de Lazzer und ihr katholischer Kollege Thomas Steiger an OB Brigitte Russ-Scherer und die Ratsfraktionen. Darin beklagten sie sich einerseits darüber, dass die Kirchen bei der Neuregelung der Bestattungszeiten weder angehört noch beteiligt wurden. Und zum anderen, machten sie klar, dass sie "die Entscheidung nicht akzeptieren" können: "Wir fordern die Stadt auf, die Beschränkungen (...) aufzuheben."
Dass die Kirchen in dieser Frage ein gewichtiges Wort mitzureden haben, steht für Kling-de Lazzer und Steiger außer Frage: "Bei über neunzig Prozent der Beerdigungen sind die Trauerfeiern christliche Gottesdienste." Deshalb sei es nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht der Kirchen, die Feier des Begräbnisses nach ihren "sinnvollen inhaltlichen Regeln" zu gestalten. "Sterben, Tod und Begräbnis", so heißt es in dem Brief weiter, "stehen in einem unlösbaren inneren Beziehungsverhältnis zueinander, das sich auch zeitlich manifestiert". Daraus leite sich die entscheidende Vorgabe für den Bestattungstermin ab: "Der Tag des Begräbnisses muss für die Trauernden in einer nachvollziehbaren Nähe zum Tod stehen - dies sind in aller Regel zwei bis fünf Tage." Und eben diese Frist, so die Sorge der Dekane, könne mit den neuen Bestattungszeiten in vielen Fällen nicht mehr eingehalten werden.
Im übrigen seien die Pfarrer(innen) weder "Dienstleister in Sachen Sterben/Tod" noch "Angestellte der Stadt oder eines Beerdigungsinstituts", die sich ungefragt fremden Regeln zu beugen hätten. Fazit: "Die Veränderung von äußeren Rahmenbedingungen bei Bestattungen, die für Pfarrer weit reichende Konsequenzen für ihre Arbeitszeit und -einteilung nach sich zieht, kann nur in gegenseitigem Einvernehmen geschehen."
Bürgermeister Eugen Höschele, der im Rathaus für die Stadtbaubetriebe und damit auch für die Friedhöfe zuständig ist, hat durchaus Verständnis für diese Position. Allerdings wünscht er sich, dass man angesichts der leeren Kassen auch den Sparkurs des Gemeinderats verstehen möge. Das Problem in der Kalkulation der Stadtbaubetriebe: Die Zahl der teureren Erdbestattungen ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurückgegangen: 1997 waren es noch knapp 400, 2003 nur noch 315. Im gleichen Zeitraum steigerte sich die Zahl der preisgünstigeren Urnenbestattungen von 135 fast bis auf 250.
Wenn man die - erst kürzlich kräftig erhöhten - Bestattungsgebühren in zumutbaren Grenzen halten wolle, so Höschele, bleibe der Stadt gar nichts anderes übrig, als auf diesen Trend zu reagieren, sprich: die städtischen Mitarbeiter auf den Friedhöfen optimal auszulasten und die Zeiten, in denen das Personal vorgehalten werden muss, einzuschränken. Trotzdem sollte seiner Ansicht nach das Thema im Rat noch einmal behandelt werden, zumal dies inzwischen auch die Fraktionen von SPD, UFW und TÜL/PDS gefordert haben. Zunächst aber will Höschele - am 7. Mai - den Konflikt in großer Runde mit allen Beteiligten (Friedhofsverwalter, Pfarrer, Bestattungsunternehmer, Gärtner und Steinmetze) besprechen.
Wie ein Kompromiss aussehen könnte, darüber möchten derzeit weder Höschele noch die beiden Dekane spekulieren. Mag sein, dass die vorletzte Änderung der Bestattungszeiten dabei eine Rolle spielt, aber wohl keine entscheidende: Vor zwei Jahren entschied der Gemeinderat auf Wunsch vieler Vereine in den Ortsteilen, die sich unter der Woche schwer tun, ihre Musikkapellen und Chöre am Grab zu versammeln, dass auf den Tübinger Friedhöfen auch samstags beerdigt werden soll.
Würde man den Samstag streichen, könnte die Stadt die Beerdigungstermine ohne zusätzliche Kosten wieder auf den Montag oder Mittwoch ausdehnen. Aber damit würde sich der Rat ziemlichen Ärger in den Dörfern einhandeln - und wenig Freude bei den Kirchen. Denn die Pfarrer in der Kernstadt fühlen sich samstags mit Trauungen, Seminaren und Gruppenterminen sowie mit den Vorbereitungen für den Sonntagsgottesdienst so ausgelastet, dass sie es bisher konsequent ablehnten, an diesem Tag auch noch zu Trauerfeiern anzutreten.