Montag, 15. März 2004
Weshalb Wickert und Stratthaus so freundlich zu Russ-Scherer sind
Zum trickreichen Leserbrief von Klaus te Wildt (15.3.03)

Der Chefideologe der Rathausmehrheit schreibt: „Mit weichen Standortfaktoren ist niemand zu locken, wenn es nicht auch harte Faktoren, sprich Arbeitsmöglichkeiten gibt.“ Sein Trick: Er erklärt die harten Standortfaktoren zum Ziel. Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen ist jedoch das Ziel, das mit weichen und harten Standortfaktoren erreicht werden soll. Unter harten Standtortfaktoren versteht man die Bereitstellung von Flächen und auch Subventionen. Weiche Standortfaktoren sind maßvolle Steuern und Gebühren, gute Schulen, Kultur und Kinderbetreuung.

Worüber streiten wir? Die große Rathausmehrheit von SPD, CDU, UFW, AL, WUT und FDP sagt: Wir stellen Gelände zur Verfügung (da sind wir noch dabei) und subventionieren den Aufbau des BioTech-Standorts Tübingen. Mit den damit entstandenen 3500 neuen Arbeitsplätzen können wir dann die Kinderbetreuung finanzieren. Da die Kosten für die harten Standortfaktoren aus dem Ruder gelaufen sind, müssen wir eben bei der sozialen Infrastruktur kürzen.
Wir sind für einen Paradigmenwechsel (diesen Begriff verwende ich nur als Dankeschön an Hans Küng für seinen Leserbrief über die Tagblatt-Berichterstattung): Weiche Standortfaktoren wie Kinderbetreuung, gut ausgestattete Schulen und die Uni geben heute den Ausschlag, ob sich High-Tech-Firmen und junge Wissenschaftlerinnen in Tübingen ansiedeln. Hier zu sparen, um im Subventionswettkampf mitzumischen, ist Selbstmord.

Weshalb schaden uns Subventionen?
1. Falscher Zeitpunkt (Gegenteil von Kairos). Fünf vor Zwölf die Spekulationsblase zu bedienen wird mit einer Verlustquote von 95 Prozent oder ewigem Parkauszwang im automatischen Teil des Französischen Viertels bestraft.
2. Umzug und lokale Abwerbung schaffen keine Arbeitsplätze. Die bisherigen gewerblichen Vermieter zahlen dann noch weniger Steuern und müssen Leute entlassen.
3. Wenn Uni-Institutsteile als GmbHs in die Obere Subventionsweide einziehen, zahlt Tübingen an das Land und die Uni über Mietsubventionen. Früher war es umgekehrt. Wenn ich Finanzminister oder Regierungspräsident wäre, verhielte ich mich noch freundlicher zu Brigitte Russ-Scherer als Wickert und Stratthaus.

In anderen Städten vertreten auch Politiker von CDU, SPD, FDP und der Grünen unsere moderne Konzeption und halten von den Subventionen von Gestern nichts mehr. Längst sind vorausdenkende Städte im Wettbewerb um junge Familien mit Kindern. Wo Kinder als Störfaktoren für die Karriere und die Event-Kultur in der Altstadt angesehen werden, geht es etwas länger. Vielleicht bringt der Stimmzettel am 13. Juni einen Stimmungsumschwung?

Anton Brenner
Stadtrat der Tübinger Linken