Donnerstag, 8. April 2004
Presse: Übrigens ... Langsam wächst eine Bewegung
tuel-pds, 03:17h
Schwäbisches Tagblatt, Fr 2.4.2004
Es ist noch keine 15 Monate her: Mehr als 2000 Demonstranten auf dem Tübinger Holzmarkt, Beifall für die Politik der Bundesregierung. SPD und Grüne sollten konsequent bleiben und sich dem bevorstehenden Angriff der USA auf den Irak verweigern, hieß es. Das war bundesweit eine der ersten großen Demonstrationen gegen den Irakkrieg und ein Vorbote für den folgenden weltweiten Protest-Frühling.
Eine ähnliche Zahl von Demonstranten wird sich morgen früh von Tübingen aus wieder auf den Weg zu einer Demo machen - zum "Protesttag gegen Sozialabbau" in Stuttgart. Die Veranstalter rechnen insgesamt mit mehreren zehntausend
Teilnehmern (siehe Seite 23).
Teilweise werden morgen sogar dieselben Leute demonstrieren wie damals im Januar 2003. Trotzdem ist vieles anders. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich das Pfeifkonzert vorzustellen, wenn auch diesmal ein Redner die Bundesregierung loben sollte. Was ist passiert?
Vor einem Jahr verkündete der Bundeskanzler seine "Agenda 2010" und behauptete, dazu gebe es "keine Alternative". Und zunächst sah es so aus, als ließen sich die meisten davon überzeugen. Im Mai 2003 riefen die Gewerkschaften zu einem ersten großen Protesttag gegen die "Agenda" - und kaum einer kam. Selbst in der Metaller-Hochburg Reutlingen Bosch!) standen keine 500 Leute auf dem Marktplatz. Ähnlich war es in anderen Städten, so dass DGB-Chef Michael Sommer kleinlaut eine "Protestpause" verkündete.
Doch bereits im Herbst wurde der Unmut vernehmlicher. Die hiesigen Globalisierungskritiker (etwa von "Attac") registrieren wachsenden Zulauf. An den Tübinger "Aktionswochen gegen Sozialabbau" beteiligte sich im Oktober ein breites Spektrum von Sozial-Initiativen, linken Aktionsgruppen und Gewerkschaftern. Zum Abschluss fuhren am 1. November zwei Reisebusse aus Tübingen und Reutlingen nach Berlin zur bundesweiten "Demonstration gegen Sozialkahlschlag". Dort zogen 100 000 durch die Straßen - eine Zahl, die wohl niemand erwartet hatte. Am wenigsten die Gewerkschaftsführungen, die diese Aktion schlicht verschlafen hatten.
Diesmal ist es anders herum. Morgen haben die Gewerkschaften das Heft fest in der Hand. Sie stellen die Logistik und kontrollieren die Redelisten. "Attac" und andere werden wieder zum "Umfeld" herabgestuft, auch wenn in Tübingen und Reutlingen enge Kontakte zwischen Gewerkschaften und Globalisierungskritikern bestehen.
Da braut sich eine neue Protestbewegung zusammen. Gewerkschafter in der Region berichten, dass ihnen die Leute wegen des morgigen Protesttags die Bude einrennen - auch Leute, die noch nie zuvor auf einer Demo waren. Vor allem der SPD (mehr als den Grünen) droht hier Ungemach, ist es doch ein Teil ihrer bisherigen Basis, den es nun auf die Straße treibt.
Eine mögliche neue Linkspartei, über die zuletzt in den bundesweiten Medien viel spekuliert worden ist, ist in der Region aber bisher kein Thema. Das mag auch daran liegen, dass diese Lücke die Tübinger Linke/PDS besetzt hält. Dass auf dieser Liste (aber nicht bei der SPD) auch Personal- und Betriebsräte des größten Dienstleistungs- und des größten Industriebetriebs kandidieren (Uniklinikum und Walter AG), müsste bei den führenden Sozialdemokraten die Alarmglocken läuten lassen. Die morgige Demo wird kaum zu ihrer Beruhigung beitragen. Michael Hahn
Es ist noch keine 15 Monate her: Mehr als 2000 Demonstranten auf dem Tübinger Holzmarkt, Beifall für die Politik der Bundesregierung. SPD und Grüne sollten konsequent bleiben und sich dem bevorstehenden Angriff der USA auf den Irak verweigern, hieß es. Das war bundesweit eine der ersten großen Demonstrationen gegen den Irakkrieg und ein Vorbote für den folgenden weltweiten Protest-Frühling.
Eine ähnliche Zahl von Demonstranten wird sich morgen früh von Tübingen aus wieder auf den Weg zu einer Demo machen - zum "Protesttag gegen Sozialabbau" in Stuttgart. Die Veranstalter rechnen insgesamt mit mehreren zehntausend
Teilnehmern (siehe Seite 23).
Teilweise werden morgen sogar dieselben Leute demonstrieren wie damals im Januar 2003. Trotzdem ist vieles anders. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich das Pfeifkonzert vorzustellen, wenn auch diesmal ein Redner die Bundesregierung loben sollte. Was ist passiert?
Vor einem Jahr verkündete der Bundeskanzler seine "Agenda 2010" und behauptete, dazu gebe es "keine Alternative". Und zunächst sah es so aus, als ließen sich die meisten davon überzeugen. Im Mai 2003 riefen die Gewerkschaften zu einem ersten großen Protesttag gegen die "Agenda" - und kaum einer kam. Selbst in der Metaller-Hochburg Reutlingen Bosch!) standen keine 500 Leute auf dem Marktplatz. Ähnlich war es in anderen Städten, so dass DGB-Chef Michael Sommer kleinlaut eine "Protestpause" verkündete.
Doch bereits im Herbst wurde der Unmut vernehmlicher. Die hiesigen Globalisierungskritiker (etwa von "Attac") registrieren wachsenden Zulauf. An den Tübinger "Aktionswochen gegen Sozialabbau" beteiligte sich im Oktober ein breites Spektrum von Sozial-Initiativen, linken Aktionsgruppen und Gewerkschaftern. Zum Abschluss fuhren am 1. November zwei Reisebusse aus Tübingen und Reutlingen nach Berlin zur bundesweiten "Demonstration gegen Sozialkahlschlag". Dort zogen 100 000 durch die Straßen - eine Zahl, die wohl niemand erwartet hatte. Am wenigsten die Gewerkschaftsführungen, die diese Aktion schlicht verschlafen hatten.
Diesmal ist es anders herum. Morgen haben die Gewerkschaften das Heft fest in der Hand. Sie stellen die Logistik und kontrollieren die Redelisten. "Attac" und andere werden wieder zum "Umfeld" herabgestuft, auch wenn in Tübingen und Reutlingen enge Kontakte zwischen Gewerkschaften und Globalisierungskritikern bestehen.
Da braut sich eine neue Protestbewegung zusammen. Gewerkschafter in der Region berichten, dass ihnen die Leute wegen des morgigen Protesttags die Bude einrennen - auch Leute, die noch nie zuvor auf einer Demo waren. Vor allem der SPD (mehr als den Grünen) droht hier Ungemach, ist es doch ein Teil ihrer bisherigen Basis, den es nun auf die Straße treibt.
Eine mögliche neue Linkspartei, über die zuletzt in den bundesweiten Medien viel spekuliert worden ist, ist in der Region aber bisher kein Thema. Das mag auch daran liegen, dass diese Lücke die Tübinger Linke/PDS besetzt hält. Dass auf dieser Liste (aber nicht bei der SPD) auch Personal- und Betriebsräte des größten Dienstleistungs- und des größten Industriebetriebs kandidieren (Uniklinikum und Walter AG), müsste bei den führenden Sozialdemokraten die Alarmglocken läuten lassen. Die morgige Demo wird kaum zu ihrer Beruhigung beitragen. Michael Hahn