Samstag, 6. März 2004
Schilderijen des Unsichtbaren: Russ-Scherer, Christoph Müller, Götz Adriani, Staatssekretär Sieber, Anton Brenner, Thomas Metzen und die Ausstellung in der Tübinger Kunsthalle.
Im Schwäbischen Tagblatt vom 6.3.04 schreibt Kurt Österle über die Eröffnungsveranstaltung "Schilderijen des Sichtbaren - Niederländische Druckgrafik des 17. Jahrhunderts - Sammlung Christoph Müller - Stadtmuseum Tübingen, 6. März - 6. Juni 2004:

Vor der Kunst die Stadtpolitik

Druckgraphiken der Sammlung Müller: Klare Worte bei der Ausstellungseröffnung im Stadtmuseum

TÜBINGEN (erl). „Keineswegs selbstverständlich“ nannte Oberbürgermeisterin Brigitte Russ-Scherer den Umstand, dass sie am gestrigen Abend im Stadtmuseum die Ausstellung mit Druckgraphiken aus der Niederländer-Sammlung Christoph Müllers eröffnen konnte. Etwa 120 Besucher waren anwesend und erlebten, wie die OB auf die Politik zu sprechen kam, bevor die Kunst den Vorzug erhielt. So sprach sie in ihrem Grußwort von jenen „falschen Behauptungen“ und „Diffamierungen“ die in den letzten Tagen in Umlauf gekommen seien und vor allem den Kunstsammler Christoph Müller treffen sollten. Ihr deutlicher Kommentar: „Es gibt keinerlei Grund, dass man ihm solch unglaubliche Beweggründe unterstellt.“

Der Sammler, TAGBLATT-Verleger und -Chefredakteur Christoph Müller wurde in seiner Ansprache deutlicher und benannte den Kern der Beschuldigungen. So habe der Sprecher einer großen Gemeinderatsfraktion ihm und der OB ein „verschwörerhaftes Abkommen“ angedichtet: Danach habe Russ-Scherer den Leiter der Kunsthalle Götz Adriani so weit gebracht, „die drittklassigen Niederländer des Herrn Müller“ auszustellen, der im Gegenzug dafür sorge, dass das TAGBLATT „nur noch gut über die Oberbürgermeisterin schreibt“. Für ihn, so Müller, wiederhole sich da die verletzende Art, in der bereits 1999, als er der Stadt seine Sammlung stiften wollte, über ihn und seine Niederländer geredet worden sei.

Russ-Scherer am Ende ihrer Rede über das angebliche „Abkommen“: „ein solcher Schwachsinn!“ Und: „Es ist freilich nicht die ganze Tübinger Öffentlichkeit, sondern nur ein kleiner Teil von ihr, der die Stadt in Bedrängnis bringt.“

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Dienstag, 17. Februar 2004
Der Kopftuchstreit, die PDS und die Auseinandersetzung um einen islamischen Kindergarten in Tübingen
Anfang des Jahres 2001 fand in Tübingen eine erbitterte Auseinandersetzung über die Installierung eines islamischen Kindergartens statt. Die Tübinger Linke / PDS sprach sich klar für die Integration der Kinder aus muslimischen Elternhäusern in gemeinsamen Kindergärten aus und fand die Unterstützung der Mehrheit des Gemeinderats, - gegen die SPD-Rathausspitze und eine Großkampagne der Lokalzeitung Schwäbisches Tagblatt. Hier einige unserer Beiträge von damals, als Beitrag zur gegenwärtigen Kopftuchdebatte.

1.
„Vom Unsinn der Integration“ (Dieter Oberndörfer im „Stern“ vom 2.11.2000) zum Islamischen Kindergarten.
Die Neue Mitte installiert Parallelgesellschaften.


Die Berichterstattung des Schwäbischen Tagblatts über den Islamischen Kindergarten arbeitet mit seltsamen Mitteln. Seitenweise Berichte über freundliche Muslime, spielende Kinder und wohlmeinende Theologen. Da heißt es: „Karlsruhe hat nicht den einzigen in Deutschland, die von Tübingen aus nächsten sind in Wiesbaden und München.“ (17.3.2001) Wer vermutet nach diesem Zitat, dass Karlsruhe, München und Wiesbaden die einzigen islamischen Kindergärten in Deutschland sind?

Der Bericht von Peter Ertle (17.3.2001) propagiert die Mär von der andersartigen Kultur der Muslime am Beispiel ritueller Waschungen. Das ist so, als ob die speziellen Vorschriften der Zeugen Jehovas als die Kultur der Christen bezeichnet würde. Die Muslime, der Islam? Was die Gruppen in Karlsruhe, München, Wiesbaden und jetzt auch in Tübingen umtreibt, ist eine spezielle Richtung einer fundamentalistischen Richtung des sunnitischen Islam. Der Islamische Verein Tübingen erklärt selbst, dass er seine Gottesdienste nicht im Gebetsraum des eher kemalistisch-laizistischen türkischen Vereins abhalten kann (deren Moschee sei „Gotteslästerung“), wohl aber bei den alten Bekannten des Landesamts für Verfassungsschutz, in der Grünen Moschee (Kaplan, ICCB) oder bei Milli Görüs (IGMG, EMUG). Unter der Adresse „Muslim-Kindergärten“ werden die Vorbilder des Tübinger Projekts in Karlsruhe, München und Wiesbaden genannt.

Unter der Adresse „Bibliothek“ liest man über „die Schariagrundlagen, auf denen die Beziehungen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen gegründet sind“ dass wir uns in Deutschland nicht in einem Kriegsgebiet (darul harb) sondern in einem darul-ahd (Land mit Abkommen mit muslimischen Staaten) befinden. Wir sind ein Gebiet, „in dem zum Weg Allahs eingeladen wird“ (daru-dawa). Und die erste Phase ist die „Überbringung der Einladung zum Islam ohne Kampf“ (S.11) Außerdem: „In Zeiten des Friedens sind die besten Umstände gegeben, dass sich die Botschaft des Islam ausbreitet.“ (S.8) Wären wir schon ein Land des Islam (darul islam) würden natürlich andere Saiten aufgezogen. Dort müssen die „Götzendiener“ erbarmungslos bekämpft werden: „Zu kämpfen ist euch vorgeschrieben, auch wenn es euch widerwärtig ist.“ (S.13) Als „Götzendiener“ hat man dort nur die Wahl zwischen drei Möglichkeiten: „Entweder den Islam anzunehmen, bekämpft (d.h. getötet) zu werden oder von der arabischen Halbinsel wegzuziehen und auf der Erde herumzuziehen.“ Den Muslimen ist es vorgeschrieben, die „Götzendiener zu verfolgen und zu töten, wo immer sie auf sie stoßen.“

Am Missionseifer besteht kein Zweifel: „Der Umstand, dass die Einladung zum Islam für die ganze Welt gilt, bürdet den Muslimen eine große Verantwortung auf.“ Und: „Den Muslimen ist es auferlegt worden, dem Menschen die Einladung zu Allah zu überbringen, und so müssen sie alle Hindernisse aus dem Weg räumen, die sich ihnen in den Weg stellen.“ Als Christen und Juden geht es uns allerdings besser als den Götzendienern. „Der Grund ist, dass die Götzendiener der arabischen Halbinsel nur die Wahl haben zwischen der Annahme des Islam, dem getötet werden und dem, dass sie die arabische Halbinsel verlassen. Die Leute der Schrift (Juden und Christen) hingegen werden aus Gründen bekämpft, die wir später erwähnen wollen, und der Kampf mit ihnen kann enden, wenn sie sich unterwerfen und die Dschizya (Schutzsteuer) bezahlen.“ (S.17) Allerdings müssen wir dann einen „Dhimma-Vertrag“ unterschreiben, der uns u.a. untersagt: Zusammentreffen gegen Muslime, Unzucht und Heirat mit einer Muslima, abwertend vom Islam zu sprechen.

Soweit die Ausführungen des „Deutschsprachigen Muslimkreis Karlsruhe (DMK)“ Dass es ernst gemeint ist, zeigen die Taliban in Afghanistan. Die Zerstörung der Buddha-Statuen wird mit dem „Vorgehen gegen den Götzendienst“
begründet. Der Buddhismus ist nach deren islamischer Auffassung keine „Buchreligion“, seine Anhänger gehören nicht zu den „Schutzbefohlenen“ des Islam (dhimmi). (FAZ 17.3.2001)

Hauptadressaten des Islamischen Kindergartens sind die aus fundamentalistischer Sicht nicht rechtgläubigen Muslime, deren Gebetsräume (z.B. beim Türkischen Verein) als „Gotteslästerung“ bezeichnet werden (Eddin Kremic am 19.2.01 in einem Leserbrief). Wer weitere Informationen wünscht, kann ja die diversen Gutachten auf der Seite des „Muslim-Markt“ nachlesen.

Teile der „Neuen Mitte“ in Deutschland vertreten Ideen des „Kommunitarismus“. Insbesondere die Bertelsmann-Stiftung schult Mitarbeiter von Kommunalverwaltungen in diese Richtung um. Tony Blair vertritt dieses Modell als „Dritten Weg“. Frau Schwarz-Österreicher (Leiterin des Tübinger Sozialamts) erzählte mit leuchtenden Augen von der neuen Philosophie, die nicht mehr das Gegeneinander, den Konflikt, den Parteien-streit kennt, sondern das Gemeinschaftliche sucht. Die antiliberale Theorie der „Konservativen Revolution“ aus der Zeit der Weimarer Republik erlebt über den Umweg des amerikanischen Kommunitarismus eine Renaissance, vor allem bei Teilen der SPD und der Grünen.

Die „Evangelische Informationsstelle: Kirchen—Sekten—Religionen“ schreibt dazu 1998: „Der kommunitäre Weg. Grossbritannien beschreitet in der Integration andere Wege als etwa Frankreich und Deutschland, insofern den Moslems die Etablierung einer Parallelgesellschaft durchaus zugestanden und auf die Forderung einer kulturellen Integration gänzlich verzichtet wird. Schule und Verwaltung nehmen auf die muslimische Parallelgesellschaft Rücksicht. Trotz dieser sehr weitgehenden Konzessionen löst der kommunitäre Ansatz das Problem im Grunde nicht, da die Forderungen der Muslime in Grossbritannien nun weitergehen: verlangt wird die Anwendung des islamischen Rechts in der muslimischen Parallelgesellschaft, ein Ansinnen, das den Grundsatz der Rechtsgleichheit beenden würde.“ Hinzu kommen Bestrebungen, einen eigenen, kontrollierbaren deutschen Islam zu fördern. Als ob Israel mit der Förderung von Hamas als Gegenorganisation zu Arafat nicht schon genug blutige Erfahrungen gemacht hätte.

Literatur der Förderer einen Parallelgesellschaft, die hinter dem Projekt eines Islamischen Kindergartens in Tübingen stehen:

Rohe, Matthias. Rechtliche Perspektiven eines deutschen und europäischen Islam. Rabels Z. 64 (2000)
Khoury, Heine, Oebbecke. Handbuch Recht und Kultur des Islam (Bertelsmann)
Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland. Gütersloh 2000. (Bertelsmann)

Kritische Stimmen gegen diese Versuche, nicht nur die Türken zu islamisieren, eine fundamentalistische Spielart zu dem Islam zu erklären, eine Parallelgesellschaft bis hin zu Ghettos und Frauenunterdrückung („Gleichbehandlungsterror“) zu etablieren, sind zu lesen bei:

Immanuel Todd. Das Schicksal der Immigranten. Classen
Aziz al-Azmeh. Islamisierung des Islam. Campus
Bassam Tibi. Leitkultur als Wertekonsens. Bilanz einer missglückten deutschen Debatte. Aus Poltik und Zeit geschichte B 1-2/ 2001


18. März 2001 Anton Brenner (Stadtrat der Tübinger Linken / PDS)

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2.
Presseerklärung der Tübinger Linken / PDS vom 22. Februar 2001 zur umstrittenen Frage eines „islamischen Kindergartens“


Der Islamische Verein Tübingen äußert sich zu seinen Grundsätzen

Im Schwäbischen Tagblatt Tübingen (S. 27) vom 21.2.2001 äußert sich der Vertreter des Islamischen Vereins Tübingen, Herr Eddin Kremic, zu grundsätzlichen Fragen:

„Der Islamische Verein Tübingen ... will nicht nur einen islamischen Kindergarten. Wir wollen auch islamische Schulen und Universitäten, islamische Metzgereien und Zeitungen. Wir wollen islamische Bäder, wo endlich auch unsere Mädchen und Frauen schwimmen lernen können, ohne belästigt zu werden. Wir wollen, dass allen Muslimen die Möglichkeit gegeben wird, am unverzichtbaren und nicht nachholbaren Freitagsgebet teilzunehmen. Wir wollen, dass unsere Feiertage genauso geachtet werden wie die christlichen. Wir wollen eine Moschee, die ihrem Sinn und Zweck dient. Wir wollen, dass Ausgrenzungen, Demütigungen und Erniedrigungen durch türkisch-deutsch-nationalistische Demagogen wie Anton, Ismail und Tamer sie vertreten, aufhören.“

Wie werden die Vertreter des Islamischen Vereins Tübingen dafür sorgen, dass die Meinungsäußerungen der „Demagogen Anton, Ismail und Tamer“ aufhören ?

Was andere moslemische Vereine tun, „hat nichts mit dem Islam zu tun“. Die konkurrierenden Moscheen „sind Gotteslästerung“. Die Gebetshäuser der anderen Moslems in Tübingen sind „keine Moscheen, sondern Attrappen“.

So sieht die Toleranz des „Islamischen Vereins Tübingen“, dessen Vereinsvorsitzender mit „Heilpraktiker Dr. rer. phsiol. Süleyman Tilman Böhringer“ im Telefonbuch steht, aus. Die Stadtverwaltung bezeichnete den Islamischen Verein Tübingen als „sehr liberal und offen“. Die Leiterin des städtischen Sozialamts Schwarz-Österreicher unterstützt die „alternativen Formen der Integration“ des Islamischen Vereins: „Wir sehen das positiv:“ (Schwäbisches Tagblatt 9.2.2001)

Die Tübinger Linke/PDS hatte die Befürchtung geäußert, dass über diese „alternativen Formen der Integration“ des „sehr liberalen und offenen“ Vereins eher eine Absonderung organisiert wird. Zusammen mit dem Türkischen Verein, dem Alevitischen Verein, Frauen International (FIT) haben wir am 23.1.2001 in einem Bericht im Schwäbischen Tagblatt erklärt: „In der Südstadt besteht ein Bedarf nach einem neuen, zweizügigen Kindergarten. Dieser Kindergarten soll wie alle Kindergärten die Integration der Kinder verschiedener Herkunft fördern und umgehend eingerichtet werden. Deshalb wollen alle einen städtischen Kindergarten (und keine religiöse Trägerschaft, ob evangelisch, islamisch oder katholisch).
Stadträtin Gerlinde Strasdeit sieht eine arrogante Diskriminierung der Muslime im Bestreben von Teilen der Stadtverwaltung, unter entwürdigenden Auflagen einen rein islamischen Kindergarten einzurichten. Stadtrat Anton Brenner sprach von einer gefährlichen Mischung von ‚gut gemeintem Multikulti, Wunsch nach moslemfreien Kindergärten und neonationalistischer Ideologie, die zum Beispiel über die Betonung einer eigenen moslemischen eine eigene nordisch-germanische Kultur wieder hochleben lässt’. Stadtrat Gerhard Bialas sprach von einem Hohn auf die Stadt der kurzen Wege, wenn moslemische Kinder aus allen Ecken an eine Stelle zusammengekarrt werden sollen.“

In der Berichterstattung der Zeitung und in Leserbriefen von SPD-Stadträten wurde diese Position sinnentstellend verkürzt. Wir hätten behauptet, die Stadtverwaltung wolle die „nordisch-germanische Kultur wieder hochleben“ lassen. Dabei beschränkte sich unser Vorwurf auf „gutgemeinten Multikulti“. Anton Brenner schrieb (17.2.01): „Falscher Beifall kann jeden treffen. So wird es den Wohlmeinenden in der Rathausspitze und in der Schar der ‚wissenschaftlichen Begleiter’ des Heilpraktikers Dr.rer.physiol Süleyman Tilman Böhringer nicht erspart bleiben, dass sie letztlich den Beifall derer finden, die deutsche Kindergärten und Schulen türkenfrei machen wollen.“

SPD-Stadtrat Hellwig nannte unsere Kritik „geistigen Faschismus“, SPD-Stadtrat te Wildt rückte uns in die Nähe der Reps im Landtag, Anton Brenner wurden „psychotische Züge“, “Manie von Kleingeistern“ angehängt. Als Anton Brenner vor Jahren polemisch für Russ-Scherer (SPD) Partei ergriff, konnte er sich vor Freundlichkeiten und Devotionalien te Wildts und Hellwigs kaum retten.

Es bleibt zu hoffen, dass die Stadtverwaltung und die SPD-Gemeinderatsfraktion nicht weiter durchdrehen und zu geistigen Stichwortgebern einer Fatwa gegen „Anton, Ismail und Tamer“ werden, wie sie der islamische Fundamentalist Eddin Kremic vom „Islamischen Verein Tübingens“ am 21.2.2001 im Schwäbischen Tagblatt androhte.

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3.
Die Tübinger Linke / PDS berichtet: (19.1.2001)

Integration oder neue Ghettos ?
Für gemeinsame Kindergärten aller Glaubensrichtungen

Im Forum Ammergasse 14 diskutierten die Ratsmitglieder der Tübinger Linken/PDS mit „Frauen International“, dem „Türkischen Verein“ und dem „Alewitischen Verein“.
Sollen moslemische Kinder schon mit 3 Jahren in einem speziellen Kindergarten separiert werden, wie dies Frau Schwarz-Österreicher vom Sozialamt plant? Ist es nicht besser, wenn Kinder aus moslemischen Familien zusammen mit ihren Nachbarskindern aus christlichen oder religionslosen Familien gemeinsam in den Kindergarten gehen?

Die Antwort aller war erstaunlich klar und einhellig: In der Südstadt besteht ein Bedarf nach einem neuen, zweizügigen Kindergarten. Dieser Kindergarten soll wie alle Kindergärten die Integration der Kinder verschiedener Herkunft fördern und umgehend eingerichtet werden. Deshalb wollen alle einen städtischen Kindergarten (und keine religiöse Trägerschaft, ob evangelisch, islamisch oder katholisch).

Stadträtin Gerlinde Strasdeit sieht eine arrogante Diskriminierung der Muslime im Bestreben von Teilen der Stadtverwaltung, unter entwürdigenden Auflagen einen rein islamischen Kindergarten einzurichten. Stadtrat Anton Brenner sprach von einer gefährlichen Mischung von „gutgemeintem Multikulti, Wunsch nach moslemfreien Kindergärten und neonationalistischer Ideologie, die z.B. über die Betonung einer eigenen moslemischen eine eigene nordisch-germanische Kultur wieder hochleben lässt“. Stadtrat Gerhard Bialas sprach von einem Hohn auf die Stadt der kurzen Wege, wenn moslemische Kinder aus allen Ecken an eine Stelle zusammengekarrt werden sollen.

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4.
Anton Brenner am 30. März 2001. Brief an den 1. Bürgermeister Gerd Weimer

Lieber Gerd Weimer!

Aus der Frage „Islamischer Kindergarten“ entwickelt sich eine interessante Diskussion. Es geht nicht nur darum, ob der „Islamische Verein“ der richtige Ansprechpartner ist. Die evangelische Dekanin und der Bischof von Rottenburg teilen unsere Skepsis. Selbst für einen islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen sehen sie in einer Einigung der verschiedenen islamischen Gruppierungen eine Voraussetzung.

Es geht vor allem um die Frage Integration oder Segregation, Integration oder Parallelgesellschaft. Diese Debatte wird seit Jahren geführt, allerdings jetzt erstmalig auf der Ebene der praktischen Politik. Weshalb muss über die Beauftragung des „Islamischen Vereins“ schon am 2. April 2001, wenige Tage nach Beginn der eigentlichen Diskussion entschieden werden? Nur wenigen beteiligten Gemeinderäten und Verantwortlichen der Stadtverwaltung sind die Standpunkte der Wissenschaftler zu diesem Thema bekannt.

Lutz Niethammer (Professor für Zeitgeschichte in Jena) beschreibt in dem Buch „Kollektive Identität“ die ideologischen Hintergründe der „Postmoderne“ und des „Multikulturalismus“, deren Vertreter sich in Tübingen besonders um die „islamische Identität“ kümmern. In der Ausgrenzung der Zuwanderer sieht er ein Mittel, zu einer „europäischen Identität“ zu finden. Das größte Hindernis für eine Integrationspolitik stellen für ihn die Kategorien kollektiver Identität dar, ob sie nun nationalistisch-demagogisch gegen oder moralisierend-multikulturell für die Zuwanderer vorgetragen werden. „Beide Positionen sind durch die Zerspaltung ökonomischer und kultureller Perspektiven, ... durch ihre Wahrnehmung als Identitätsprobleme prinzipiell nicht verhandlungsfähig und dazu angetan, sich gegenseitig hochzuschaukeln und den öffentlichen Raum für pragmatische Lösungen im Sinne internationaler Solidarität und nationaler Interessen und Verantwortung zu vernichten.“ Auf der Seite der „ausländerfreundlichen“ Absonderer stehen z.B. Francis Fukyama, die Kommunitaristen Taylor, MacIntyre, Walzer, Bellah und Etzioni, Ulrich Beck (multi-ethnische Keimformen kontra liberal-demokratische Institutionen). Das Spiegelbild, die harte Linie vertritt Samuel P. Huntington.

Mark Terkessidis (Kulturkampf, Volk, Nation, der Westen und die Neue Rechte): „Multikulturalisten definieren die jeweiligen Kulturen von ihren jeweiligen Besonderheiten aus. In dieser Unterscheidung wird jedoch letztendlich die Mehrheitskultur wieder in den Mittelpunkt gerückt.“

Für den slowenischen Philosophen und Psychoanalytiker Slavoi Zizek ist der Multikulturalismus die Ideologie des multinationalen Kapitalismus schlechthin, ein Rassismus, der Abstand hält, der die Identität des Anderen respektiert, das Andere als eine in sich geschlossene authentische Gemeinschaft wahrnimmt.

Der Chefideologe der NPD, Horst Mahler, feiert die Multikulturalisten Dutschke und Rabehl als „Herolde des nationalen Sozialismus“. Die libanesische Regierung verbot eine Konferenz revisionistischer Historiker am 3. April 2001 in Beirut. Das Referat Mahlers „Gotteserkenntnis statt Judenhass“, das auf dieser gemeinsamen Sitzung von christlichen und muslimischen Multikulturalisten und Antisemiten gehalten werden sollte, ist im Internet nachzulesen.

Auf den Internetseiten des evangelisch-lutherischen Missionswerk in Niedersachsen und der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus in Bern können die Zusammenhänge von Ethnopluralismus, religiösem Fundamentalismus und der Strategie der neuen Rechten nachgelesen werden.

Der Kopf der französischen Neuen Rechten Alain Benoist plädiert für ein neues Verständnis und eine zunehmende Bedeutung von regionalen Kulturen. Organisatorisch sieht er diese Gesellschaft zwischen Subsidiaritätsprinzip und Kommunitarismus angeordnet (so die rechte „Junge Freiheit“ in einer Besprechung seines Buches „Aufstand der Kulturen“). In dem Aufsatz „Die Religion der Menschenrechte“ polemisiert Benoist gegen die universalen Menschenrechte unter Berufung auf eine angeblich völlig andere „islamische Kultur“. (thulenet.com)

Die Liste der Überschneidungen von Ethnopluralismus, Multikulturalismus, religiösem Fundamentalismus und Rechtsradikalismus ist ohne Ende. Hier noch einige Ausschnitte aus dem Buch „Islamisierung des Islam“:


Vielleicht kannst Du meine Meinung verstehen. Ich habe nicht umsonst die jetzige Diskussion mitangestoßen.

Herzliche Grüße
Anton Brenner

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5.
Erklärung der Tübinger Linken / PDS. 15. Dezember 2001:

Die Tübinger Islamisten geben nicht auf. Auch nach dem 11. September 2001 finden sich „nützliche Idioten“ in Zeitungsredaktionen, in Kirchen, Parteien und in der Tübinger Stadtverwaltung.

Der Vertreter des „Islamischen Vereins“ Dr. physiol. Süleyman Böhringer unterstellt der Mehrheit des Tübinger Gemeinderats ein „Feindbild und Vorurteile gegenüber dem Islam“ (Tagblatt 17.11.2001). Auf Wunsch der großen Mehrheit der Tübinger muslimischen Glaubens und auf Intervention des türkischen und alevitischen Vereins trat die Gemeinderatsmehrheit für gemeinsame Kindergärten der Kinder der verschiedenen Glaubensrichtungen ein und lehnte einen Kindergarten unter Trägerschaft der Islamisten ab. Eine Separierung der muslimischen Kinder wurde nicht als Beitrag zur Integration angesehen.

Das Schwäbische Tagblatt war schon damals zusammen mit der Sozialamtsleiterin und der Oberbürgermeisterin der Stadt anderer Meinung. Es war zu erwarten, dass die Befürworter von Parallelgesellschaften der Muslime den Beschluss nicht akzeptieren und nachkarten werden. Wie schon Eddin Kremic verurteilt Süleyman Böhringer die Position der Mehrheit der Tübinger Muslime, die im Gemeinderat eine Mehrheit fand, als „Feindbild und Vorurteile gegenüber dem Islam“. Fundamentalistische Islamisten können es nicht lassen, ihre Sicht als den Islam zu bezeichnen.

Ich räume ein, dass das Konzept von Böhringer/Kremic prominente Fürsprecher hat. Professor Oberndörfer schrieb im Stern über den „Unsinn der Integration“ (allerdings vor dem 11.9.2001) und befürwortete eine Parallelgesellschaft der Moslems. In England und den USA wurde dies zugestanden, dort gibt es islamische Kindergärten, Schulen etc mit den bekannten Nebenerscheinungen der Gettoisierung und Separierung. Im Norden Englands kam es erst jüngst als Folge dieser Entwicklung zu schweren Auseinandersetzungen. Häuser und Geschäfte der jeweiligen Minderheit in den entstandenen Vierteln der Parallelgesellschaften wurden abgefackelt. Islamischer und rechtsradikaler Terrorismus sind direkte Folgen dieser getrennten Entwicklung.

Der in den USA lehrende Literaturwissenschaftler Edward Said und der USA-Orientalist John Esposito begründeten diese pro-islamistische Denkrichtung. Ausgerechnet im politischen Islam, beim islamischen Fundamentalismus entdeckten sie eine Verbindung des Besten aus dem Islam mit den Idealen der Aufklärung und der Moderne. Anders als Frankreich unterstützten die USA, England und auch Deutschland bis zum 11. September 2001 die Islamisten von Algerien (diese Heilsfront und GIA-Kämpfer schnitten den Lehrerinnen die Gurgel durch) bis Afghanistan (sie brachten die Taliban an die Macht).

Der italienische Politiker (DC) Francesco Cossiga schrieb am 18. 11. 2001 in der FAZ: „Wir müssen den islamischen Gemeinden in unserem Land volle Autonomie einräumen - auch für ihre herkömmlichen, ureigenen und grundlegenden Institutionen. Das betrifft nicht nur die religiöse Praxis in Moscheen oder auf Straßen und Plätzen. Wir müssen ihnen auch das Recht einräumen, bei uns ihre Vorstellungen und ihre Praxis von Ehe und Familie auszuleben und zu verwirklichen. Das schließt auch die Polygamie, das Recht auf Verstoßung der Ehefrau sowie die Herrschaft des Mannes in der Familie ein.“ Dies entspricht etwa den Forderungen von Eddin Kremic vom Islamischen Verein Tübingen im Schwäbischen Tagblatt vom 21.2.2001: „Der Islamische Verein Tübingen ... will nicht nur einen islamischen Kindergarten. Wir wollen auch islamische Schulen und Universitäten, islamische Metzgereien und Zeitungen. Wir wollen islamische Bäder, wo endlich unsere Mädchen und Frauen schwimmen lernen können, ohne belästigt zu werden.“

Was unter großem Aufatmen in Afghanistan beseitigt wird, soll also unter der Überschrift des Multikulturalismus, Ethnopluralismus und der Parallelgesellschaft in Tübingen eingepflanzt werden. Unterdrückung der Frau, Intoleranz, und vormoderne und vormoderne Verhältnisse. Folgerichtig ist da die Forderung der Islamisten in England, in ihren Parallelgesellschaften das islamische Recht, die Scharia anwenden zu können. Dies schrieb 1998 die „Evangelische Informationsstelle Kirchen-Sekten-Religionen“, sie berichtete auch über die zustimmende Haltung des Propheten zur „kleinen Beschneidung“ der Frauen (Entfernung der Klitoris). Das zählt für manche wie Cossiga zum „Recht..., ihre Vorstellungen und ihre Praxis von Ehe und Familie auszuleben“, und wird mit dem „Geist der Ökumene“, dem „interreligiösen Dialog“ und der „Liebe zum Multikulturalismus“ begründet (Cossiga in der FAZ am 18.11.2001).

Die meist reformorientierten, modernen Muslime in Deutschland, die türkischen Vereine werden von den Islamisten unter Druck gesetzt und an die Wand gedrängt, wenn weiter panislamistische Vereine solcher Herren wie Kremic und Böhringer und deren Anmaßung des „wahren Islam“ unterstützt werden. Ich habe schon am 18. 3. 2001 geschrieben, dass der Islamische Verein Tübingen nach eigenen Angaben seine Gottesdienste „nicht im Gebetsraum des eher kemalistisch-laizistischen türkischen Vereins abhalten kann, deren Moschee sei ‚Gotteslästerung‘, wohl aber bei den alten Bekannten des Landesamtes für Verfassungsschutz, in der Grünen Moschee (Kaplan, ICCB) oder bei Milli Görüs (IGMG, EMUG).“

Die Tübinger Freunde von Süleyman Böhringer und Eddin Kremic stehen in einer zynischen Tradition. Großbritannien und die USA unterstützten nach der Aussage des Islamwissenschaftlers Alexandre del Valle schon vor hundert Jahren „die primitivsten, antilaizistischen islamistischen Bewegungen“, um die „reformatorische Bewegung“ des Islam scheitern zu lassen. „Indem sie die Islamisten in Pakistan, Indien und Ägypten (Muslim League, Jamaat i-islami, Muslimbrüder) unterstützten, halfen die Engländer, die Erneuerungsbewegung zu vernichten. Als fleißige Schüler der Engländer gingen die Amerikaner sogar so weit, die Macht der Wahabiten im Arabischen Golf zu stärken.“ (del Valle in: Der Islam ist kriegerisch. Auch der Westen hat seine Reform verhindert. FAZ. 18.11.2001)

Die Folgen sind bekannt. Tausende Lehrerinnen und Lehrer wurden als „Götzendiener“ von der algerischen Heilsfront und ihrem militärischen Arm GIA massakriert. Die Kommandozentralen befanden sich lange ungestört in Deutschland. Die Unterstützung der USA für Bin Laden und die Taliban kostete Zehntausenden das Leben. Um die Geister, die man rief, zu beseitigen, werden weitere unschuldige Zivilisten zugebombt und von Streubomben zerfetzt.

Am 22.4.1993 veröffentlichte das Schwäbische Tagblatt einen Leserbrief, dessen erster Teil mir eine Klage des Kommandeurs der Sicherheitspolizei des SD in Maribor, Alois Gabrysch, einbrachte und mit der Rückgabe des Bundesverdienstkreuzes durch Gabrysch endete. Ich zitiere diesen Leserbrief wegen des zweiten Teils: „Ab und zu hat Sepp Ben Akiva Recht. Der Nazi-Opfer zu gedenken scheint nicht zu den ‚postmodernen‘ Gepflogenheiten zu gehören. Im Gegenteil. Zug um Zug wird die Nazi-Ideologie wieder hoffähig gemacht. Das Landratsamt Tübingen empfiehlt den Schülern im Kreis Tübingen wärmstens den SS-Mann Alois Gabrysch im Rahmen des Wettbwerbs ‚Schüler fragen Ältere‘. Ist der Titel ‚Schlächter von Maribor‘ wieder ein Ehrentitel? Oder wurde Herr Gabrysch dienstverpflichtet für die Propagierung der neuen deutschen Jugoslawienpolitik? Bei der ‚Internationalen Woche‘ wurde in Tübingen kostenlos ein Buch gegen die ‚jüdisch-freimaurerische Weltverschwörung“ verteilt. Ein wahrhaft multikultureller Beitrag: Die Weltherrschaft übt danach die „universale Loge“ mit „zwölf Juden an der Spitze“ aus. Natürlich arbeitet diese Loge nach dem Geheimcode des „Buches Zohar des Rabbi Akiva Ben Joseph“. Positiv wird in dem Buch bemerkt, dass „im Deutschland Hitlers die freimaurerischen Logen besetzt und ihr Inhalt zerstört wurde, nachdem die Verbindung mit dem Weltjudentum bekannt geworden war:“ Hitlers ‚Mein Kampf‘ wird positiv zitiert. Unglaublich, was heutzutage auf Veranstaltungen der Tübinger „Linken“ verteilt wird.“ - Das von mir damals beanstandete Buch wurde von der Tübinger Grünen Moschee kostenlos verteilt, gedruckt in Saudi-Arabien, verfasst von einem islamistischen Imam. Scholl-Latour berichtet, dass in saudischen Hotels als eine Art Bibel die nazistische antisemitische Hetzschrift „Protokolle der Weisen von Zion“ ausliegt.

Der Schmusekurs sich links fühlender Geistlicher und Redakteure mit dem Islamismus, einer Abart des modernen Faschismus, hat in Tübingen Tradition. Es gibt auch Übertritte aus der linksradikalen Szene zum Islamismus. Es würde mich nicht wundern, wenn die Freunde des Islamischen Vereins neue Möglichkeiten suchten, ihre religiös-verbrämte Ideologie in Kindergärten, Schulen und Kirchen verbreiten zu können.

15. Dezember 2001. Anton Brenner

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Montag, 15. Dezember 2003
Leserbrief zur Debatte über Walter Jens
Schwäbisches Tagblatt, Sa 13.12.2003

Man kann die Lebensleistung von Walter Jens achten und dennoch (oder gerade deshalb) gleiche Maßstäbe anlegen wie an andere Zeitgenossen auch.

Mein Fraktionskollege Anton Brenner beantragte nicht die Aberkennung der Ehrenbürgerschaft sondern eine Reflexion im Gemeinderat. Wer 500 Jahre Tübinger Universitätsgeschichte recherchiert hat, sollte bei der eigenen NSDAP-Mitgliedschaft nicht schnoddrig reagieren.

Anton Brenners Anfrage lautete wie folgt:

"Als es um die Ehrenbürgerschaft des über 90-jährigen Herbergsvaters der Obdachlosen, Herrn Beyer, ging, regte Stadtrat Riethmüller an, eventuelle Nazi-verstrickungen zu überprüfen. Dies wurde ihm zugesagt. Und es wurde darüber berichtet, dass nichts über eine Nazi-Vergangenheit vorliege.

Wenn eine Erkenntnis wie eine NSDAP-Mitgliedschaft aufgetaucht wäre, hätte dies für Herrn Beyer ernste Konsequenzen gehabt. Einen Ehrenbürger Beyer hätte es dann nicht gegeben.

Hat die Stadt Tübingen eine ähnliche Überprüfung im Fall Walter Jens veranlasst? Wenn nicht: Weshalb kam es zu dieser Ungleichbehandlung von Walter Jens. Wird es eine Aussprache im Ältestenrat über den Fall des Ehrenbürgers Walter Jens und der Verhehlung seiner NSDAP-Mitgliedschaft geben?"

Und die Oberbürgermeisterin sagte zu, die Angelegenheit zu besprechen. Es war Kollege Riethmüller, der die Latte einst so hochlegte. Nun sollte zumindest geklärt werden, ob die Verleihung von Ehrenbürgerschaften - wie bei Walter Jens geschehen - ohne Beratung und in geheimer Abstimmung erfolgen müssen.

Vielleicht kann man zukünftig ganz auf solch riskante Art Stadtmarketing verzichten. Oder man schränkt das auf solche Personen ein, die sich speziell um Tübingen verdient gemacht haben. Unsere Fraktion hatte da mal gute Namen ins Gespräch gebracht.

Gerlinde Strasdeit
Stadträtin der Tübinger Linken/PDS

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Freitag, 5. Dezember 2003
Walter Jens: Presseschau
Anton Brenner, Do 4. 12. 2003

Sollen wir als "Tübinger Linke - PDS" die Kritik an Walter Jens sein lassen?

1. Der "Wisch"

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer sozusagen in diese Mitgliedschaft hineinrutscht und davon gar nichts weiß, das will mir nicht so richtig einleuchten." - sagte Ralph Giordano am 26.11.2003 in einem Deutschlandfunk Interview auf Fragen von Christine Heuer.

"Ich war wohl ein unwissender Parteigenosse", sagt Walter Jens selbst, vielleicht habe er auf einer großen Versammlung einen "Generalwisch" unterschrieben. (dpa 25.11.2003)

"Es war nicht möglich, ohne eigenes Zutun Mitglied der NSDAP zu werden." heißt es in einem Gutachten des Münchner Instituts für Zeitgeschichte.

"Walter Jens ist ein Name in der evangelischen Kirche. Er ist eine Marke und für viele eine Institution. Kein Kirchentag der vergangenen Jahrzehnte, wo er nicht auftrat. Er hat Psalmen übersetzt und ausgelegt. Er hat - wie seinerzeit Luther - die Evangelien übersetzt. ... Wenn jetzt Fragen an ihn gestellt werden, dann erinnern wir uns nicht zuerst daran, dass wir Heutige auch Fragen an Martin Luther stellen müssen in bezug auf sein Bild vom Judentum. ... Aufklärung ist jetzt nötig, zu der Walter Jens alles ihm Mögliche beitragen muß. Tut er das nicht, könnte der Schatten, der jetzt auf ihn gefallen ist, größer werden als das Licht, das von seiner Arbeit ausstrahlt." - schreibt Dr. Matthias Schreiber, 26.11.2003 von der evangelischen Kirche des Rheinlands.

Der Literaturwissenschaftler Jan-Philipp Reemtsma forderte Jens indirekt auf, sich seiner Vergangenheit zu stellen. "Das Bedrückende ist, wenn jemand nicht sagen kann, ,Herrgott noch mal, ich war damals 18, 19 oder 21 Jahre alt ... und ich war ein Dummkopf, aber jetzt nicht mehr'", sagte Reemtsma im Bayerischen Rundfunk. (dpa 27.11.2003)

"Walter Jens bezeichnete seine Mitgliedschaft als "absurd und banal" und fordert nun ein "Obergutachten". Bei aller Vorsicht kann man sagen: Man würde sich freuen, wenn er seine defensive Haltung bald aufgeben würde. ... Es erscheinen in diesen Monaten viele Bücher, die sich unverstellt mit der Nazizeit beschäftigen ... Vielleicht findet Walter Jens ja noch die Souveränität, dazu wirklich etwas beizutragen. " - schreibt DIRK KNIPPHALS in der taz vom 26.11.2003

"Der Wille schwindet, über jemanden den Stab zu brechen, nur weil er Mitglied der NSDAP gewesen ist. Pikiert aber ist man, wenn er nicht dazu steht." - schreibt die NZZ am 29.11.2003

"Als 13-jähriger Schüler weigerte sich Walter Jens, seinen anti-nazistischen Lehrer an die Schulbehörde zu verraten. So schrieb er 1981 in einem Artikel für die FAZ, so dokumentierte es sein Biograf Karl-Josef Kuschel, und so will es das Publikum. Unbequemes Schweigen, das passt ins Bild; bequemes Verschweigen nicht. ... Die der Unschuld Beraubten jedenfalls pflegen das zu tun, was sie den von ihnen Angeklagten nie zugestanden haben: um Milde, Verständnis, Fairness bitten." schreibt der Rheinisch Merkur am 27.11.2003

Den Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki zitiert "Focus" mit der Aussage über Jens: "Mir hat er in 20 Jahren Freundschaft weder von einer Mitgliedschaft in der HJ noch in der Partei erzählt." (dpa) 01.12.2003

Jens Bisky schreibt in der Süddeutschen Zeitung vom 27.11.2003: "Die Lexikon-Autoren haben mit den Gelehrten über ihre Funde gesprochen, sie verzeichnen auch Einsprüche gegen die Aktenlage. Der Münchner Historiker Michael Buddrus erstellte ein Gutachten, demzufolge die Aufnahme in die NSDAP einen persönlich unterschriebenen Antrag voraussetzte, nach dessen Prüfung der Eintrag in die Mitgliederkartei erfolgte. Dass Mitglieder der HJ ohne ihr Wissen und ihre schriftliche Zustimmung überführt wurden, ist nach Buddrus ausgeschlossen. ... Zeitgeschichte ist seit Jahren das wirksamste Aufputschmittel der Öffentlichkeit. Man mag das bedauern, aber ohne diese nervöse Erregungsbereitschaft, das oft selbstgerechte Klima rascher Aburteilung hätten wir vieles nie erfahren. ... Es geht aber nicht darum, Prominente auf die Arme-Sünderbank zu setzen. Aber Fakten sind von Fiktionen zu scheiden, bequeme Illusionen aufzugeben. Das Dritte Reich ist kein fernes Land der Monster gewesen, Wissenschaft wurde in ihm großzügig gefördert, Begabte hatten glänzende Karrierechancen. Es gelang die Integration der verschiedensten Absichten, Interessen und Charaktere zur "Volksgemeinschaft"."

"Aber gegen genau dieses Verhalten, gegen das Verschweigen, Bagatellisieren und sich nicht erinnern können, hat Walter Jens viele Jahre vehement gestritten. Es ist eine bittere Pointe: Was Jens und andere der Generation ihrer Väter zu Recht vorgeworfen haben, galt, wie wir jetzt wissen, auch für sie selbst - über die eigene Vergangenheit wurde nicht geredet. Nicht einmal den engsten Freunden gegenüber. Mit Marcel Reich-Ranicki haben Wapnewski und Jens über all dies nie gesprochen." meint Hubert Spiegel in der FAZ vom 25. 11. 2003

Und in der Stuttgarter Zeitung vom 3.12.2003 steht: "Folgt man den Feststellungen des Historikers Buddrus, dann kann es unfreiwillige Mitgliedschaften nicht gegeben haben. Dieser Auffassung neigt man auch in der Berliner Dienststelle des Bundesarchivs zu, also dort, wo die vollständig erhaltene Mitgliederkartei lagert. ... Nehmen wir die Äußerungen der Leserbriefschreiber ernst, dann muss es reihenweise Fälschungen gegeben haben. Doch Urkundenfälschungen großen Stils hält man im Bundesarchiv für höchst unwahrscheinlich. Bisher gibt es keinen einzigen Beleg dafür. Eher im Gegenteil. Aus Berlin ist zu erfahren, die Parteizentrale, die bis zuletzt penibel arbeitete, habe Aufnahmeanträge zurückgeschickt, wenn Unklarheiten bestanden, auch hinsichtlich der Unterschrift."

Berliner Zeitung vom 26.11.2003: Jens dagegen vermutet, er sei allenfalls ohne sein Wissen in die Parteilisten geraten, und nennt die Sache "absurd und banal". Das ist eine merkwürdige Aussage für jemand, der über Jahrzehnte als das intellektuelle Gewissen Westdeutschlands auftrat, der mit rhetorischer Macht und politischem Engagement auf Vergangenheitsaufarbeitung drängte. Es ist historisch belegt, dass die NSDAP auf der eigenhändigen Unterschrift unter Parteianträgen bestand. Jens bestätigte dem "Spiegel" sogar selbst, es könne sein, er habe da "einen Wisch unterschrieben". Was heißt hier "Wisch"? ... Vor zehn Jahren, zu seinem 70. Geburtstag, gab Jens der Zeit ein Interview. Er sprach über seine Jugend in der NS-Zeit: "Gab es für Sie keinen Moment der Versuchung, mitzumachen?" - "Nein". Er sprach über die Nachkriegsjahre, das Debattieren mit Böll und anderen: "Und wir waren alle eingeschworene Demokraten - undenkbar, da hätte sich einer von uns plötzlich als Nazi entpuppt!" Und er sprach über sein Alter: "Was bedeutet für Sie Verrat, intellektueller Verrat, heute?" - "Seiner eigenen Vergangenheit auszuweichen."

Und in der Berliner Zeitung vom 27.11.2003 heißt es: "Jens wird nicht müde zu erklären, dass er sich nicht daran erinnere, einen Aufnahmeantrag in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei gestellt zu haben. Aber er erklärt auch: "Es kann ja sein, dass ich da einen Wisch unterschrieben habe ." Es ist schrecklich, aber wir werden davon ausgehen müssen, dass von dem gewaltigen Lebenswerk des ehemaligen Tübinger Rhetorikprofessors dieser Satz übrig bleiben wird. Er wirft ein so grelles Licht auf den vorgeblichen Aufklärer Walter Jens, dessen Anstrengungen jäh versagen, wenn es um die Erhellung der eigenen Geschichte geht. ... Walter Höllerer, Walter Jens, Peter Wapnewski gaben vor, uns dabei behilflich zu sein, in Wahrheit aber diente ihr viel bewundertes Reden und Schreiben weniger unserer Aufklärung als dem Beschweigen der eigenen Schande."

Unter dem Titel "Opportunisten" schreibt Theodor Ickler (im Internet): Auch wenn man Walter Jens keinen schwereren Vorwurf daraus machen sollte, daß er als junger Mann NSDAP-Mitglied war, so hätte man doch wenigstens erwarten können, daß er, der über alles und jedes geredet und geschrieben hat, den bedauerlichen Umstand wenigstens einmal zum Gegenstand einer Betrachtung oder wenigstens Erwähnung gemacht hätte. Daß im Verschweigen eine Schuld liegen könnte, scheint ihm gar nicht in den Sinn zu kommen, wenn er sich jetzt öffentlich darüber ausläßt, er sei doch gar kein "Germanist" und gehöre nicht ins Germanistenlexikon.
Aber bei Walter Jens wundert mich gar nichts, denn die Rhetorik ist ja nichts anderes als die zur akademischen Disziplin überhöhte Gesinnungslosigkeit. Mein kürzlich verstorbener akademischer Lehrer, der Indogermanist Bernfried Schlerath, charakterisiert Jens, den er als Student, nur ein Jahr jünger als der vom Militärdienst befreite Jens, in Lateinseminaren erlebte, folgendermaßen: "Jens, immer auf Wirkung bedacht, setzte sein Asthma gekonnt als rhetorisches Mittel ein: genau an der richtigen Stelle ein rasselnder Atemzug. Ich bewunderte ihn, hatte er doch gerade das, was mir fehlte: Selbstbewußtsein und Schlagfertigkeit. - Dann war es ein einziger Satz von ihm, der mich auf Distanz gehen ließ, der mich unangenehm berührte: "Nestle, dieser bedeutende Philologe - von Russen am Straßenrand erschlagen". Schlagartig sah ich, daß dieser erschütterte Blick, erst in die Runde, dann gen Himmel, diese effektvoll berechnete Pause in der Mitte des Satzes, dieser langsam erhobene Arm, die Handfläche nach oben, der Mund blieb halb geöffnet stehen, pures Theater war. Nicht daß Jens geheuchelt hätte, daß er nicht etwa wirklich betroffen war, aber er konnte offenbar um der Wirkung willen über seine Gefühle verfügen, sie nach Belieben hervorrufen. Mein Gefühl wurde mir zur Gewißheit, als Jens einige Tage später - ich war später hinzugekommen - den gleichen Satz vor anderen Gesprächsteilnehmern in genau der gleichen Weise wiederholte, exakt genau, bis in die kleinsten Einzelheiten. "Nestle, dieser bedeutende Philologe - von Russen am Straßenrand erschlagen". "Ekelhaft", dachte ich. Sein weiterer Lebensweg bestätigte meinen damaligen Eindruck. Seine letzte wichtige Leistung war sein Buch "Hofmannsthal und die Griechen" von 1955, vielleicht noch "Bauformen der griechischen Tragödie" von 1971. Dann verließ er die Klassische Philologie und produzierte sich von nun an mit allen möglichen Modeströmungen, auch politischen, als Vehikel seiner Eitelkeit und wurde so zu einer einflußreichen Figur des Geisteslebens, d. h. vor allem der Feuilletons." (Das geschenkte Leben. Dettelbach 2000, S. 141f.)

Dem Nachrichtenmagazin FOCUS sagte Jens: "Ich bin erstaunt darüber, dass der Herausgeber des Lexikons sich in dieser Frage auf ein einziges Gutachten stützt - das ist wirklich fahrlässig. Wissenschaftler müssen mindestens drei verlässliche Quellen haben, ehe sie in einer so gravierenden Frage zu einer dezidierten Stellungnahme kommen. Es geht schließlich um die Ehre von nicht ganz unangesehenen Menschen."

"Die Reaktionen der jetzt in den Blick geratenen Germanisten weisen schon einen Weg dahin, wie solche Fragen aussehen könnten. Wenn Jens sagt, die Information über seine Parteimitgliedschaft sei «absurd und banal», dann steckt in dieser Verweigerung, sich inhaltlich dazu zu stellen, genau die Schwierigkeit, die Wapnewski in seinem Fall benennt, wenn er an diesem Anlass seine eigene Erinnerungsarbeit in Frage stellt." - sagt Prof. Ulrike Landfester im St. Galler Tagblatt, 29.11.03

2. Jens, Reich-Ranicki und Walser

Wie Tilman Jens mit Billigung seines Vaters mit der "kommunistischen" Vergangenheit von Marcel Reich-Ranicki umging. Hier einige Zitate: Tilman Jens: "Ex-Kommunist Reich-Ranicki war linientreu bis über den Tod Stalins hinaus. In den Westen Deutschlands (und damit zur Hamburger "Zeit") kam er mit polnischer Staats- und Starthilfe im Jahre 1958. Als "stellvertretenden Abteilungsleiter im VII. Departement" der polnischen Auslands-Spionage findet man MRR im "Verzeichnis der höheren Geheimdienst-Offiziere" - verfaßt zur Berechnung der Rentenansprüche (!) - als Marceli Ranicki. ... Tilman Jens: "Die Briefe der Exilpolen ließ er mit Dampf öffnen. Jede verdächtige Zeile hatte
augenblicklich auf seinem Schreibtisch zu landen. Schon damals wurde emsig konspiriert und denunziert. Er sorgte dafür, daß schwarze Listen von London ins Hauptquartier nach Warschau
gelangten. Verzeichnet waren die Namen von 2000 mißliebigen Exilanten. Auch die physische Vernichtung eines Gegners war dem falschen Konsul offenkundig nicht fremd." - "Reich-Ranicki, der multimedial zum Literaturpapst gefeaterte Kultur-Clown, ist bekanntlich ein nachtragender
Mann und sein "Literarisches Quartett" eine Institution von marktbeherrschendem Einfluß."

Walter Jens und die Vergangenheitsbewältigung à la Martin Walser: »Kinder, spricht der Onkel Walser, / Preisbörsianer, Allumhalser, / unser einst zu schmales Land / ist jetzt ein normales Land, / wo man wieder schreibt und sagt, / was uns an uns selbst behagt. / Schaut euch um, doch nicht zurück: / Ravensburg statt Ravensbrück; / Meßkirch, auch sehr hübsch gelegen, / traulicher als Esterwegen. / Dachau? Flossenbürg? Ah, geh! / Bodensee - nicht Plötzensee. / Und so weiter dergestalt, / daß sich jeder ohne Reue / unsrer Nazion erfreue: / »Westerwald!« - statt Buchenwald.« Mit diesem Gedicht hat sich Peter Rühmkorf in der »Zeit« ohne Wiegen und Wägen gegen Walser gewandt. Ansonsten gibt es keinen Protest von Günter Grass, kein scharfes Wort von - ja, von wem denn noch? Grass kann nicht mehr protestieren, nachdem er sich zusammen mit Walter Jens, der als erster Walser in Schutz nahm, im Frühjahr gegen das Holocaust-Mahnmal ausgesprochen hat. ... Nach Walsers Rede war es Walter Jens, der diejenigen kritisierte, die über den Nationalsozialismus urteilen wollten, damals aber noch nicht geboren waren. Tjark Kunstreich in KONKRET 1/99

Und noch etwas zum antisemitisch gefärbten Roman Martin Walsers über Reich-Ranicki (Jens stellte sich ausdrücklich auf die Seite Martin Walsers): Was also geschieht im Reich-Ranicki-Roman «Tod eines Kritikers»? ... Und wie steht es mit der kettenrauchenden Frau Ehrl-König, von der alle nur per «Madame» sprechen? Landolf gibt Gerüchte wieder, ihr Vater «sei zuerst Privatsekretär Pétains und dann Geheimdienstchef des Vichy-Regimes gewesen». Es fällt schwer, solche Witzelei angesichts des Schicksals der realen Frau Reich-Ranicki, die mit ihrem Mann das Warschauer Ghetto und in einem Kellerversteck überlebte, nicht als unerträgliche Geschmacklosigkeit zu empfinden, zumal da sich der Vater von Teofila Reich-Ranicki im Ghetto aus Verzweiflung erhängt hat.

Ohne Zweifel wirkt das Profil Ehrl-Königs abstoßend. Die Romanfiguren schildern seine unerträgliche Eitelkeit, seine Brutalität und nicht zuletzt seine «sexuelle Delikatesse, Schwangere bis zum dritten Monat». Die sehr üble Nachrede wird übrigens Rainer Heiner Henkel in den Mund gelegt, hinter dem sich, mangelhaft verschlüsselt, Walter Jens verbirgt. Auffallend ist: Der Hass auf Ehrl-König hat häufig einen sexuellen Beigeschmack. Ein Tonbandprotokoll präsentiert eine betrunkene Schriftstellerrunde. Hans Lach ereifert sich angeekelt über das «weiße Zeug», das Ehrl-König «in den Mundwinkeln» bleibe. «Scheißschaum,» ruft ein zweiter, «das ist sein Ejakulat. Der ejakuliert ja durch die Goschen, wenn er sich im Dienst der doitschen Literatür aufgeilt. Der Lippengorilla, der elendige.» Ulrich Weinzierl in der Berliner Morgenpost

"Die antisemitischen Töne in Walsers Roman sind auch sonst unüberhörbar. Walsers jüdischer Literaturkritiker ist sexbesessen, überheblich, geldgierig und vom internationalen Judentum gedeckt. Martha Friday alias Susan Sontag lobt André Ehrl-König alias Marcel Reich-Ranicki dafür, dass er Philipp Roth alias Philipp Roth lobt. Drei Juden protegieren sich über Landes- und Nationalsprachgrenzen hinweg wechselseitig. Gegen ein solches mächtiges transatlantisches Kartell hat der Schriftsteller mit dem so bieder deutschen Namen Hans Lach keine Chance." Aus der Besprechung von Jochen Hörisch in der Frankfurter Rundschau, 27.6.2002.

3. Jens und die Sterbehilfe

"Dürfen Ärzte auf Verlangen töten? Nein, sie dürfen nicht. Zu den Leuten, die das ändern wollen, gehören die beiden Tübinger Professoren in Rente Walter Jens, 78, und Hans Küng, 73. Auf einer Podiumsdiskussion an der Tübinger Uni forderten sie von Herta Däubler-Gmelin, derzeit Bundesjustizministerin, ein deutsches Sterbehilfegesetz nach niederländischem Vorbild.... Zwar widerstand Däubler-Gmelin dem mephistophelischen Angebot und verwies auf die zum Teil absurden Regelungen der holländischen Vorlage. Aber der aggressive, eitle und selbstgewisse Tonfall, in dem Küng und Jens ihre Forderungen vortrugen, ließ uns weniger ins Angesicht weiser alter Männer schauen als vielmehr ins verzerrte Antlitz einer Sterbelobby, deren Lautstärke in nächster Zeit eher zunehmen wird: das Schlimmste kommt noch. ... In welcher Tradition das steht, ist auch Walter Jens wohl bewusst. Allein die Nennung des Begriffs "Euthanasie" ("schöner Tod") bringt ihn denn auch so in Rage, dass er auf dem Tübinger Podium gegen Däubler-Gmelin Gift und Galle spuckt: Er brauche keine "magistralen Belehrungen". Dabei hatte Däubler-Gmelin nur an gewisse ungute Traditionen der deutschen Medizin erinnert. ... Freilich ist auch die Haltung der Bundesregierung bei solchen Grenzfragen nicht einheitlich. Während Däubler-Gmelin in Tübingen Flagge zeigte, pumpt ihre Kabinettskollegin Edelgard Bulmahn Millionen in Genforschung und Biotechnologie. Nur international nicht in Rückstand geraten! Vielleicht sollte die Sozialdemokratie sich beizeiten entscheiden, welchen Weg sie mit dieser langsam vergreisenden Gesellschaft zu gehen gedenkt: Ob sie den Menschen als Organbank und Organempfänger, als nach Belieben verwertbares lebendes Ersatzteillager zum Nutzen Anderer begreift - oder ob sie ihn als autonomes und bisweilen eben widerborstiges Subjekt akzeptieren will.... Das aber ist, glaube ich, der geheime Kern des jens-küngschen Todeswunsches, der nicht nur das eigene Ableben im Auge hat: die Vorstellung, der andere, die Gemeinschaft, der Staat habe die Pflicht, dem Einzelnen einen angenehmen Tod zu verschaffen - und das heißt, er habe das Recht zu töten. Dieser Gedanke begegnet uns hier in der merkwürdigen Verkleidung, dass der Moribundus (ich übersetze: der Delinquent) selbst um den Tod bittet. Das Tötungsverbot aber ist der Grundkonsens dieser Gesellschaft; der Schritt in die staatlich erlaubte Euthanasie wäre der Schritt zurück in die braune Barbarei." Christian Gampert in FREITAG 11.05.2001

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Freitag, 28. November 2003
Friedensplenum: Stellungnahme zum Sparzwang der Kommune
Di, 7. Oktober 2003

Das Friedensplenum/Antikriegsbündnis Tübingen meldet sich als ein von der Stadt unterstützter Verein zur Lage der Stadtfinanzen und dem drohenden Sparhaushalt 2004 zu Wort. Tübingen ist keine Insel. Die Stadtverwaltung
reagiert wie fast alle Kommunen in der Bundesrepublik auf die schlecht gemachte Finanzlage mit Abbau im sozialen und kulturellen Sektor. Diese erzwungenen Sparkonzepte tragen mit zur Zerschlagung des Sozialstaates bei und gefährden den sozialen Frieden auch hier.

Die umseitige Grafik zeigt plakativ die zwei Möglichkeiten der bundesweiten Verwendung von Steuergeldern: Waffenbeschaffungsprogramme in Milliardenhöhe oder zivile Alternativen. Wir stehen für konsequente Abrüstung ein, damit die Gelder frei werden, die bis in die Kommunen hinunter weitergereicht und in gesellschaftlich notwendige und nützliche Einrichtungen inverstiert werden können. Zivile Alternativen schaffen auch zivile Arbeitsplätze.

Wir wollen mehr soziale Gerechtigkeit durch Abrüstung. Arme Städte und einen armen Staat können sich nur die Reichen leisten.

Abrüstung statt Sozialabbau!

Sie können sich an unserer Unterschriftenkampagne beteiligen.

Mehr Informationen unter: www.friedensplenum-tuebingen.de

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