Samstag, 22. Januar 2005
Matthias Platzeck fliegt auf SPD-Kosten nach Tübingen und erhält Pfälzer Fusel als original Tübinger Sekt. Der SPD-Kreisvorsitzender Martin Rosemann will die Seite mit Hans Filbinger aus dem goldenen Buch der Stadt Tübingen reißen und präsentiert sich damit als Kandidat des radikalen Flügels für die nächste Landtagswahl.
Der Ministerpräsident von Brandenburg machte am 22. Januar 2005 der Schwäbischen Universitätsstadt Tübingen seine Aufwartung. Er durfte die Festrede zum 130. Jahrestag der Tübinger SPD halten. Um 11.30 trug er sich in das Goldene Buch der Stadt Tübingen ein, eine Seite nach Bundespräsident Horst Köhler. Die erste Eintragung stammt aus dem Jahr 1975 vom damaligen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs Hans Filbinger. Diese Seite will der Kreisvorsitzende der Tübinger SPD und mutmaßliche Bewerber für ein Landtagsmandat Martin Rosemann am liebsten herausreißen, - so radikal können SPD-ler sein, - im Hinterzimmer und unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Der kleine Empfang im Rathaus war spartanisch: Trockene Brezeln, Billigsekt aus der Pfalz, der jedoch etikettenschwindel-standesgemäß als Tübinger Sekt angepriesen wurde. Wir können davon ausgehen, dass auch der Flug des Ministerpräsidenten Platzeck nebst Bodyguards nach Tübingen die Staatskasse nicht belastete, sondern von den Tübinger SPD-Genossinnen und Genossen bezahlt wurde. Oder etwa von VW?

Einige Gemeinsamkeiten verbinden Tübingen mit dem Land Brandenburg und seiner Landeshauptstadt Potsdam. Tübingen war mal Landehauptstadt eines Bundeslandes (Südwürttemberg-Hohenzollern), Potsdam ist es noch, auf Abruf. Nur dem Geldmangel ist es zu danken, dass die Tübinger Altstadt und Reste der Potsdamer Innenstadt nicht niedergewalzt wurden. Dass dies in Tübingen von uns im erbitterten Widerstand gegen die Rathaus-SPD erkämpft werden musste (geplanter Schimpf- und Schwabenhaus-Abriss, Nordtangente), verschwieg die SPD-Oberbürgermeisterin Brigitte Russ-Scherer diskret. Ebenso die Mitschuld der SPD an der Frondsbergauffahrt, dem König-, Neckarmüllerei- und Palmenhaus-Abriss und an den Schrott-Mahnmalen Foyer und Depot.

Auch dass die nach der SPD stärkste Partei die PDS ist verbindet Tübingen mit Brandenburg. Und das bleibt gut so. Berufen sich doch beide auf die alte SPD. Der linke Flügel spaltete sich nach der Billigung der Kriegskredite durch die SPD 1914 ab und hat seither immer wieder gute Gründe gefunden, es dabei zu belassen. Der Versuch einer Sozialistischen Einheitspartei war ebenso wenig ermutigend wie die SPD als sozialdemokratische Einheitspartei verlockend erscheint.

Anton Brenner

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Mittwoch, 19. Januar 2005
Wird Tübingen "Stadt der Wissenschaft 2006" mit einem Projekt im Haus des Blut- und Boden-Professors Theodor Haering? Oberbürgermeisterin Brigitte Russ-Scherer will die Sympathien der Tübinger Rechten nicht verspielen und zögert die Umbenennung hinaus. Die Angst vor dem Gmelin-Riethmüller-Jordan-Clan ist groß.
Wer die Ehrenbürgerschaft von WalterJens in Frage stellen wolle, dem riet das Schwäbische Tagblatt vor 14 Monaten "sich . . . in die Schriften eines Theodor Haering zu versenken, eines ,Blut- und Boden'-Professors an der hiesigen Universität, der - so dessen Wortwahl - ,Philosophie als geistige Rassenkunde' betrieben wissen wollte." Selbst er sei Tübinger Ehrenbürger geworden.
Hans Gmelin, der frühere Oberbürgermeister von Tübingen, der sicher auch irgendwann einmal aus Versehen einen Wisch unterzeichnet hatte, verschaffte diesem Rasseideologen die Ehrenbürgerschaft gegen Vererbung der Hauses in der Neckarhalde, des heutigen Theodor-Haering-Hauses, sehr zum Ärger der heute noch lebenden Verwandtschaft.

Kern der Tübinger Bewerbung für die Stadt der Wissenschaft 2006 ist das Tübinger Haering-Haus, das zum Haus des Wissens werden soll. Haering war Tübinger Ordinarius für Philosophie und flog 1945 wegen seiner rassistischen und antisemitischen Tiraden hochkant von der Uni.

Die Tübinger Linke / PDS beantragte am 13. Dezember 2004, das Theodor-Haering-Haus in Simon-Hayum-Haus umzubenennen. Hayum war Tübinger Jude, Rechtsanwalt und Stadtrat der Liberalen, bis er von den Tübinger Nazis vertrieben wurde. Der Antrag wurde damit begründet, dass es der Tübinger Bewerbung für die Stadt der Wissenschaft 2006 nur schaden könne, wenn ruchbar werde, dass das zu fördernde Objekt den "Ehrennamen" eines der widerwärtigsten Nazi-Ideologen führe. Die Oberbürgermeisterin reagierte sofort. Sie werde den Antrag ins Verfahren nehmen. Geschehen ist bisher allerdings nichts und auch das Schwäbische Tagblatt schweigt beredt.

Die Umbenennung sollte bis zur Entscheidung der Jury über die Bewerbung der Stadt Tübingen abgeschlossen sein, bevor Tübingen noch mehr ins Gerede kommt. Tübingen hat mit seinen Ex-NSdAP-Ehrenbürgern und SS-Schergen wie dem "Schlächter von Maribor", der es in Tübingen bis zum Kripochef und Bundesverdienstkreuz brachte, genug zu tragen.

So könnte Tübingen einer sicheren Blamage im Diskussionsprozess um die "Stadt der Wissenschaft 2006" entgehen, ob die Stadt nun die 125 000 Euro bekommt oder nicht. Vielleicht wäre es auch gut, zusammen mit der Tübinger Geschichtswerkstatt das Konzept für das "Haus des Wissens" um den Aspekt der Lebensgeschichte von Tübinger Tätern und Opfern, nicht nur Theodor Haerings und Simon Hayums, zu erweitern.

Anton Brenner
Stadt- und Kreisrat der Tübinger Linken / PDS
(Leserbrief an das Schwäbische Tagblatt vom 19.01.2005)

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Donnerstag, 13. Januar 2005
Leserbrief: Hartzige Weihnachten
Schwäbisches Tagblatt, 24. Dez. 2004

Wunderschöne Wintertage jetzt um den 4. Advent. Doch es fehlt so sehr herzerwärmende Beschaulichkeit, die sich auch nicht mit dem an den Haaren herbeigezogenen „historischen Markt“ einstellen kann. Es ist kalt geworden in Deutschland. Durch den deformierten „Sozialstaat“ pfeift ein eisiger Wind. Es ist die soziale Kälte, die den Menschen in der einst lobgepriesenen Bundesrepublik Deutschland zu schaffen macht. Die Angst um den Arbeitsplatz, um die nackte Existenz überhaupt, kann mit „Oh du fröhliche, gnadenbringende Weihnachtszeit“ nicht weggesungen werden.

Was wir brauchen zu Weihnachten und fürs neue Jahr ist der Zusammenschluss zu Solidargemeinschaften, die sich gegen den Sozialraub zur Wehr setzen. Ja, auch die 18. Montagsdemo am 20. Dezember in Tübingen, mit den an Ausdauer nicht zu überbietenden Teilnehmern, hat es wieder gezeigt: Sich nicht gegeneinander ausspielen lassen – Solidarität ist das beste Mittel gegen das Wegmobben. Der Kampf um den Erhalt jedes Arbeitsplatzes geht uns alle an. Nicht nur mitfühlen mit den Armutsbetroffenen, mit ihnen gemeinsam soziale Ungerechtigkeit bekämpfen – das muss die Weihnachtsbotschaft sein.

Die Menschen brauchen keine „Zusatzjobs“, sondern Arbeitsplätze, die nach Tarif zu bezahlen sind, von denen man leben kann. Es ist schon eine Unverfrorenheit ohnegleichen, dass die Stadt nun entgegen den TüL/PDS-Anträgen mit dem Unsegen des Gemeinderats „Zusatzjobs“ für Hartz IV-Geschädigte schaffen will, in Bereichen, in denen das mal ganz normale, reguläre Arbeitsverhältnisse waren: Bei der Stadtbücherei, im Stadtmuseum, auf den Friedhöfen, im internen Dienst und so weiter.

Außer uns vier Stadträten der Tübinger Linken haben noch drei aus der AL-Fraktion die Courage aufgebracht, mit uns gegen diese Ausbeuterei zu stimmen. Denn die SPD muss ja hier mitsamt den Grünen unten um- und durchsetzen, was oben im Reichstag an Hartzer Käse zusammengematscht wurde; auf Drängen der Unternehmerverbände, die unser Land regieren. Mit dem Einverleiben der DDR machen die jetzt für ihre Profite jede Unverschämtheit. Ihre Pappkameraden in Bund und den Ländern sind zuverlässig. Also „frohe Weihnachten“. Fragt sich nur für wen: unten oder oben?

Gerhard Bialas, Stadt- und Kreisrat der TÜL/PDS, Tübingen, Weißdornweg 11

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