Freitag, 5. Dezember 2003
Walter Jens: Presseschau
Anton Brenner, Do 4. 12. 2003

Sollen wir als "Tübinger Linke - PDS" die Kritik an Walter Jens sein lassen?

1. Der "Wisch"

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer sozusagen in diese Mitgliedschaft hineinrutscht und davon gar nichts weiß, das will mir nicht so richtig einleuchten." - sagte Ralph Giordano am 26.11.2003 in einem Deutschlandfunk Interview auf Fragen von Christine Heuer.

"Ich war wohl ein unwissender Parteigenosse", sagt Walter Jens selbst, vielleicht habe er auf einer großen Versammlung einen "Generalwisch" unterschrieben. (dpa 25.11.2003)

"Es war nicht möglich, ohne eigenes Zutun Mitglied der NSDAP zu werden." heißt es in einem Gutachten des Münchner Instituts für Zeitgeschichte.

"Walter Jens ist ein Name in der evangelischen Kirche. Er ist eine Marke und für viele eine Institution. Kein Kirchentag der vergangenen Jahrzehnte, wo er nicht auftrat. Er hat Psalmen übersetzt und ausgelegt. Er hat - wie seinerzeit Luther - die Evangelien übersetzt. ... Wenn jetzt Fragen an ihn gestellt werden, dann erinnern wir uns nicht zuerst daran, dass wir Heutige auch Fragen an Martin Luther stellen müssen in bezug auf sein Bild vom Judentum. ... Aufklärung ist jetzt nötig, zu der Walter Jens alles ihm Mögliche beitragen muß. Tut er das nicht, könnte der Schatten, der jetzt auf ihn gefallen ist, größer werden als das Licht, das von seiner Arbeit ausstrahlt." - schreibt Dr. Matthias Schreiber, 26.11.2003 von der evangelischen Kirche des Rheinlands.

Der Literaturwissenschaftler Jan-Philipp Reemtsma forderte Jens indirekt auf, sich seiner Vergangenheit zu stellen. "Das Bedrückende ist, wenn jemand nicht sagen kann, ,Herrgott noch mal, ich war damals 18, 19 oder 21 Jahre alt ... und ich war ein Dummkopf, aber jetzt nicht mehr'", sagte Reemtsma im Bayerischen Rundfunk. (dpa 27.11.2003)

"Walter Jens bezeichnete seine Mitgliedschaft als "absurd und banal" und fordert nun ein "Obergutachten". Bei aller Vorsicht kann man sagen: Man würde sich freuen, wenn er seine defensive Haltung bald aufgeben würde. ... Es erscheinen in diesen Monaten viele Bücher, die sich unverstellt mit der Nazizeit beschäftigen ... Vielleicht findet Walter Jens ja noch die Souveränität, dazu wirklich etwas beizutragen. " - schreibt DIRK KNIPPHALS in der taz vom 26.11.2003

"Der Wille schwindet, über jemanden den Stab zu brechen, nur weil er Mitglied der NSDAP gewesen ist. Pikiert aber ist man, wenn er nicht dazu steht." - schreibt die NZZ am 29.11.2003

"Als 13-jähriger Schüler weigerte sich Walter Jens, seinen anti-nazistischen Lehrer an die Schulbehörde zu verraten. So schrieb er 1981 in einem Artikel für die FAZ, so dokumentierte es sein Biograf Karl-Josef Kuschel, und so will es das Publikum. Unbequemes Schweigen, das passt ins Bild; bequemes Verschweigen nicht. ... Die der Unschuld Beraubten jedenfalls pflegen das zu tun, was sie den von ihnen Angeklagten nie zugestanden haben: um Milde, Verständnis, Fairness bitten." schreibt der Rheinisch Merkur am 27.11.2003

Den Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki zitiert "Focus" mit der Aussage über Jens: "Mir hat er in 20 Jahren Freundschaft weder von einer Mitgliedschaft in der HJ noch in der Partei erzählt." (dpa) 01.12.2003

Jens Bisky schreibt in der Süddeutschen Zeitung vom 27.11.2003: "Die Lexikon-Autoren haben mit den Gelehrten über ihre Funde gesprochen, sie verzeichnen auch Einsprüche gegen die Aktenlage. Der Münchner Historiker Michael Buddrus erstellte ein Gutachten, demzufolge die Aufnahme in die NSDAP einen persönlich unterschriebenen Antrag voraussetzte, nach dessen Prüfung der Eintrag in die Mitgliederkartei erfolgte. Dass Mitglieder der HJ ohne ihr Wissen und ihre schriftliche Zustimmung überführt wurden, ist nach Buddrus ausgeschlossen. ... Zeitgeschichte ist seit Jahren das wirksamste Aufputschmittel der Öffentlichkeit. Man mag das bedauern, aber ohne diese nervöse Erregungsbereitschaft, das oft selbstgerechte Klima rascher Aburteilung hätten wir vieles nie erfahren. ... Es geht aber nicht darum, Prominente auf die Arme-Sünderbank zu setzen. Aber Fakten sind von Fiktionen zu scheiden, bequeme Illusionen aufzugeben. Das Dritte Reich ist kein fernes Land der Monster gewesen, Wissenschaft wurde in ihm großzügig gefördert, Begabte hatten glänzende Karrierechancen. Es gelang die Integration der verschiedensten Absichten, Interessen und Charaktere zur "Volksgemeinschaft"."

"Aber gegen genau dieses Verhalten, gegen das Verschweigen, Bagatellisieren und sich nicht erinnern können, hat Walter Jens viele Jahre vehement gestritten. Es ist eine bittere Pointe: Was Jens und andere der Generation ihrer Väter zu Recht vorgeworfen haben, galt, wie wir jetzt wissen, auch für sie selbst - über die eigene Vergangenheit wurde nicht geredet. Nicht einmal den engsten Freunden gegenüber. Mit Marcel Reich-Ranicki haben Wapnewski und Jens über all dies nie gesprochen." meint Hubert Spiegel in der FAZ vom 25. 11. 2003

Und in der Stuttgarter Zeitung vom 3.12.2003 steht: "Folgt man den Feststellungen des Historikers Buddrus, dann kann es unfreiwillige Mitgliedschaften nicht gegeben haben. Dieser Auffassung neigt man auch in der Berliner Dienststelle des Bundesarchivs zu, also dort, wo die vollständig erhaltene Mitgliederkartei lagert. ... Nehmen wir die Äußerungen der Leserbriefschreiber ernst, dann muss es reihenweise Fälschungen gegeben haben. Doch Urkundenfälschungen großen Stils hält man im Bundesarchiv für höchst unwahrscheinlich. Bisher gibt es keinen einzigen Beleg dafür. Eher im Gegenteil. Aus Berlin ist zu erfahren, die Parteizentrale, die bis zuletzt penibel arbeitete, habe Aufnahmeanträge zurückgeschickt, wenn Unklarheiten bestanden, auch hinsichtlich der Unterschrift."

Berliner Zeitung vom 26.11.2003: Jens dagegen vermutet, er sei allenfalls ohne sein Wissen in die Parteilisten geraten, und nennt die Sache "absurd und banal". Das ist eine merkwürdige Aussage für jemand, der über Jahrzehnte als das intellektuelle Gewissen Westdeutschlands auftrat, der mit rhetorischer Macht und politischem Engagement auf Vergangenheitsaufarbeitung drängte. Es ist historisch belegt, dass die NSDAP auf der eigenhändigen Unterschrift unter Parteianträgen bestand. Jens bestätigte dem "Spiegel" sogar selbst, es könne sein, er habe da "einen Wisch unterschrieben". Was heißt hier "Wisch"? ... Vor zehn Jahren, zu seinem 70. Geburtstag, gab Jens der Zeit ein Interview. Er sprach über seine Jugend in der NS-Zeit: "Gab es für Sie keinen Moment der Versuchung, mitzumachen?" - "Nein". Er sprach über die Nachkriegsjahre, das Debattieren mit Böll und anderen: "Und wir waren alle eingeschworene Demokraten - undenkbar, da hätte sich einer von uns plötzlich als Nazi entpuppt!" Und er sprach über sein Alter: "Was bedeutet für Sie Verrat, intellektueller Verrat, heute?" - "Seiner eigenen Vergangenheit auszuweichen."

Und in der Berliner Zeitung vom 27.11.2003 heißt es: "Jens wird nicht müde zu erklären, dass er sich nicht daran erinnere, einen Aufnahmeantrag in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei gestellt zu haben. Aber er erklärt auch: "Es kann ja sein, dass ich da einen Wisch unterschrieben habe ." Es ist schrecklich, aber wir werden davon ausgehen müssen, dass von dem gewaltigen Lebenswerk des ehemaligen Tübinger Rhetorikprofessors dieser Satz übrig bleiben wird. Er wirft ein so grelles Licht auf den vorgeblichen Aufklärer Walter Jens, dessen Anstrengungen jäh versagen, wenn es um die Erhellung der eigenen Geschichte geht. ... Walter Höllerer, Walter Jens, Peter Wapnewski gaben vor, uns dabei behilflich zu sein, in Wahrheit aber diente ihr viel bewundertes Reden und Schreiben weniger unserer Aufklärung als dem Beschweigen der eigenen Schande."

Unter dem Titel "Opportunisten" schreibt Theodor Ickler (im Internet): Auch wenn man Walter Jens keinen schwereren Vorwurf daraus machen sollte, daß er als junger Mann NSDAP-Mitglied war, so hätte man doch wenigstens erwarten können, daß er, der über alles und jedes geredet und geschrieben hat, den bedauerlichen Umstand wenigstens einmal zum Gegenstand einer Betrachtung oder wenigstens Erwähnung gemacht hätte. Daß im Verschweigen eine Schuld liegen könnte, scheint ihm gar nicht in den Sinn zu kommen, wenn er sich jetzt öffentlich darüber ausläßt, er sei doch gar kein "Germanist" und gehöre nicht ins Germanistenlexikon.
Aber bei Walter Jens wundert mich gar nichts, denn die Rhetorik ist ja nichts anderes als die zur akademischen Disziplin überhöhte Gesinnungslosigkeit. Mein kürzlich verstorbener akademischer Lehrer, der Indogermanist Bernfried Schlerath, charakterisiert Jens, den er als Student, nur ein Jahr jünger als der vom Militärdienst befreite Jens, in Lateinseminaren erlebte, folgendermaßen: "Jens, immer auf Wirkung bedacht, setzte sein Asthma gekonnt als rhetorisches Mittel ein: genau an der richtigen Stelle ein rasselnder Atemzug. Ich bewunderte ihn, hatte er doch gerade das, was mir fehlte: Selbstbewußtsein und Schlagfertigkeit. - Dann war es ein einziger Satz von ihm, der mich auf Distanz gehen ließ, der mich unangenehm berührte: "Nestle, dieser bedeutende Philologe - von Russen am Straßenrand erschlagen". Schlagartig sah ich, daß dieser erschütterte Blick, erst in die Runde, dann gen Himmel, diese effektvoll berechnete Pause in der Mitte des Satzes, dieser langsam erhobene Arm, die Handfläche nach oben, der Mund blieb halb geöffnet stehen, pures Theater war. Nicht daß Jens geheuchelt hätte, daß er nicht etwa wirklich betroffen war, aber er konnte offenbar um der Wirkung willen über seine Gefühle verfügen, sie nach Belieben hervorrufen. Mein Gefühl wurde mir zur Gewißheit, als Jens einige Tage später - ich war später hinzugekommen - den gleichen Satz vor anderen Gesprächsteilnehmern in genau der gleichen Weise wiederholte, exakt genau, bis in die kleinsten Einzelheiten. "Nestle, dieser bedeutende Philologe - von Russen am Straßenrand erschlagen". "Ekelhaft", dachte ich. Sein weiterer Lebensweg bestätigte meinen damaligen Eindruck. Seine letzte wichtige Leistung war sein Buch "Hofmannsthal und die Griechen" von 1955, vielleicht noch "Bauformen der griechischen Tragödie" von 1971. Dann verließ er die Klassische Philologie und produzierte sich von nun an mit allen möglichen Modeströmungen, auch politischen, als Vehikel seiner Eitelkeit und wurde so zu einer einflußreichen Figur des Geisteslebens, d. h. vor allem der Feuilletons." (Das geschenkte Leben. Dettelbach 2000, S. 141f.)

Dem Nachrichtenmagazin FOCUS sagte Jens: "Ich bin erstaunt darüber, dass der Herausgeber des Lexikons sich in dieser Frage auf ein einziges Gutachten stützt - das ist wirklich fahrlässig. Wissenschaftler müssen mindestens drei verlässliche Quellen haben, ehe sie in einer so gravierenden Frage zu einer dezidierten Stellungnahme kommen. Es geht schließlich um die Ehre von nicht ganz unangesehenen Menschen."

"Die Reaktionen der jetzt in den Blick geratenen Germanisten weisen schon einen Weg dahin, wie solche Fragen aussehen könnten. Wenn Jens sagt, die Information über seine Parteimitgliedschaft sei «absurd und banal», dann steckt in dieser Verweigerung, sich inhaltlich dazu zu stellen, genau die Schwierigkeit, die Wapnewski in seinem Fall benennt, wenn er an diesem Anlass seine eigene Erinnerungsarbeit in Frage stellt." - sagt Prof. Ulrike Landfester im St. Galler Tagblatt, 29.11.03

2. Jens, Reich-Ranicki und Walser

Wie Tilman Jens mit Billigung seines Vaters mit der "kommunistischen" Vergangenheit von Marcel Reich-Ranicki umging. Hier einige Zitate: Tilman Jens: "Ex-Kommunist Reich-Ranicki war linientreu bis über den Tod Stalins hinaus. In den Westen Deutschlands (und damit zur Hamburger "Zeit") kam er mit polnischer Staats- und Starthilfe im Jahre 1958. Als "stellvertretenden Abteilungsleiter im VII. Departement" der polnischen Auslands-Spionage findet man MRR im "Verzeichnis der höheren Geheimdienst-Offiziere" - verfaßt zur Berechnung der Rentenansprüche (!) - als Marceli Ranicki. ... Tilman Jens: "Die Briefe der Exilpolen ließ er mit Dampf öffnen. Jede verdächtige Zeile hatte
augenblicklich auf seinem Schreibtisch zu landen. Schon damals wurde emsig konspiriert und denunziert. Er sorgte dafür, daß schwarze Listen von London ins Hauptquartier nach Warschau
gelangten. Verzeichnet waren die Namen von 2000 mißliebigen Exilanten. Auch die physische Vernichtung eines Gegners war dem falschen Konsul offenkundig nicht fremd." - "Reich-Ranicki, der multimedial zum Literaturpapst gefeaterte Kultur-Clown, ist bekanntlich ein nachtragender
Mann und sein "Literarisches Quartett" eine Institution von marktbeherrschendem Einfluß."

Walter Jens und die Vergangenheitsbewältigung à la Martin Walser: »Kinder, spricht der Onkel Walser, / Preisbörsianer, Allumhalser, / unser einst zu schmales Land / ist jetzt ein normales Land, / wo man wieder schreibt und sagt, / was uns an uns selbst behagt. / Schaut euch um, doch nicht zurück: / Ravensburg statt Ravensbrück; / Meßkirch, auch sehr hübsch gelegen, / traulicher als Esterwegen. / Dachau? Flossenbürg? Ah, geh! / Bodensee - nicht Plötzensee. / Und so weiter dergestalt, / daß sich jeder ohne Reue / unsrer Nazion erfreue: / »Westerwald!« - statt Buchenwald.« Mit diesem Gedicht hat sich Peter Rühmkorf in der »Zeit« ohne Wiegen und Wägen gegen Walser gewandt. Ansonsten gibt es keinen Protest von Günter Grass, kein scharfes Wort von - ja, von wem denn noch? Grass kann nicht mehr protestieren, nachdem er sich zusammen mit Walter Jens, der als erster Walser in Schutz nahm, im Frühjahr gegen das Holocaust-Mahnmal ausgesprochen hat. ... Nach Walsers Rede war es Walter Jens, der diejenigen kritisierte, die über den Nationalsozialismus urteilen wollten, damals aber noch nicht geboren waren. Tjark Kunstreich in KONKRET 1/99

Und noch etwas zum antisemitisch gefärbten Roman Martin Walsers über Reich-Ranicki (Jens stellte sich ausdrücklich auf die Seite Martin Walsers): Was also geschieht im Reich-Ranicki-Roman «Tod eines Kritikers»? ... Und wie steht es mit der kettenrauchenden Frau Ehrl-König, von der alle nur per «Madame» sprechen? Landolf gibt Gerüchte wieder, ihr Vater «sei zuerst Privatsekretär Pétains und dann Geheimdienstchef des Vichy-Regimes gewesen». Es fällt schwer, solche Witzelei angesichts des Schicksals der realen Frau Reich-Ranicki, die mit ihrem Mann das Warschauer Ghetto und in einem Kellerversteck überlebte, nicht als unerträgliche Geschmacklosigkeit zu empfinden, zumal da sich der Vater von Teofila Reich-Ranicki im Ghetto aus Verzweiflung erhängt hat.

Ohne Zweifel wirkt das Profil Ehrl-Königs abstoßend. Die Romanfiguren schildern seine unerträgliche Eitelkeit, seine Brutalität und nicht zuletzt seine «sexuelle Delikatesse, Schwangere bis zum dritten Monat». Die sehr üble Nachrede wird übrigens Rainer Heiner Henkel in den Mund gelegt, hinter dem sich, mangelhaft verschlüsselt, Walter Jens verbirgt. Auffallend ist: Der Hass auf Ehrl-König hat häufig einen sexuellen Beigeschmack. Ein Tonbandprotokoll präsentiert eine betrunkene Schriftstellerrunde. Hans Lach ereifert sich angeekelt über das «weiße Zeug», das Ehrl-König «in den Mundwinkeln» bleibe. «Scheißschaum,» ruft ein zweiter, «das ist sein Ejakulat. Der ejakuliert ja durch die Goschen, wenn er sich im Dienst der doitschen Literatür aufgeilt. Der Lippengorilla, der elendige.» Ulrich Weinzierl in der Berliner Morgenpost

"Die antisemitischen Töne in Walsers Roman sind auch sonst unüberhörbar. Walsers jüdischer Literaturkritiker ist sexbesessen, überheblich, geldgierig und vom internationalen Judentum gedeckt. Martha Friday alias Susan Sontag lobt André Ehrl-König alias Marcel Reich-Ranicki dafür, dass er Philipp Roth alias Philipp Roth lobt. Drei Juden protegieren sich über Landes- und Nationalsprachgrenzen hinweg wechselseitig. Gegen ein solches mächtiges transatlantisches Kartell hat der Schriftsteller mit dem so bieder deutschen Namen Hans Lach keine Chance." Aus der Besprechung von Jochen Hörisch in der Frankfurter Rundschau, 27.6.2002.

3. Jens und die Sterbehilfe

"Dürfen Ärzte auf Verlangen töten? Nein, sie dürfen nicht. Zu den Leuten, die das ändern wollen, gehören die beiden Tübinger Professoren in Rente Walter Jens, 78, und Hans Küng, 73. Auf einer Podiumsdiskussion an der Tübinger Uni forderten sie von Herta Däubler-Gmelin, derzeit Bundesjustizministerin, ein deutsches Sterbehilfegesetz nach niederländischem Vorbild.... Zwar widerstand Däubler-Gmelin dem mephistophelischen Angebot und verwies auf die zum Teil absurden Regelungen der holländischen Vorlage. Aber der aggressive, eitle und selbstgewisse Tonfall, in dem Küng und Jens ihre Forderungen vortrugen, ließ uns weniger ins Angesicht weiser alter Männer schauen als vielmehr ins verzerrte Antlitz einer Sterbelobby, deren Lautstärke in nächster Zeit eher zunehmen wird: das Schlimmste kommt noch. ... In welcher Tradition das steht, ist auch Walter Jens wohl bewusst. Allein die Nennung des Begriffs "Euthanasie" ("schöner Tod") bringt ihn denn auch so in Rage, dass er auf dem Tübinger Podium gegen Däubler-Gmelin Gift und Galle spuckt: Er brauche keine "magistralen Belehrungen". Dabei hatte Däubler-Gmelin nur an gewisse ungute Traditionen der deutschen Medizin erinnert. ... Freilich ist auch die Haltung der Bundesregierung bei solchen Grenzfragen nicht einheitlich. Während Däubler-Gmelin in Tübingen Flagge zeigte, pumpt ihre Kabinettskollegin Edelgard Bulmahn Millionen in Genforschung und Biotechnologie. Nur international nicht in Rückstand geraten! Vielleicht sollte die Sozialdemokratie sich beizeiten entscheiden, welchen Weg sie mit dieser langsam vergreisenden Gesellschaft zu gehen gedenkt: Ob sie den Menschen als Organbank und Organempfänger, als nach Belieben verwertbares lebendes Ersatzteillager zum Nutzen Anderer begreift - oder ob sie ihn als autonomes und bisweilen eben widerborstiges Subjekt akzeptieren will.... Das aber ist, glaube ich, der geheime Kern des jens-küngschen Todeswunsches, der nicht nur das eigene Ableben im Auge hat: die Vorstellung, der andere, die Gemeinschaft, der Staat habe die Pflicht, dem Einzelnen einen angenehmen Tod zu verschaffen - und das heißt, er habe das Recht zu töten. Dieser Gedanke begegnet uns hier in der merkwürdigen Verkleidung, dass der Moribundus (ich übersetze: der Delinquent) selbst um den Tod bittet. Das Tötungsverbot aber ist der Grundkonsens dieser Gesellschaft; der Schritt in die staatlich erlaubte Euthanasie wäre der Schritt zurück in die braune Barbarei." Christian Gampert in FREITAG 11.05.2001