Samstag, 20. Dezember 2003
Breite Mehrheiten gab es in der Tübinger Etat-Debatte bisher nur bei der Blockade von Kompromissen
felwing, 22:29h
Schwäbisches Tagblatt, Sa 20.12.2003
An den Knackpunkten zerbrochen
TÜBINGEN. Fünf Stunden lang rangen die Tübinger Ratsfraktionen am Donnerstag in diversen Formationen um den finalen Haushalts-Kompromiss. Ohne Erfolg: Am Ende wurden die jeweiligen Frontlinien noch härter verteidigt als zuvor. Da nützte auch der Appell von OB Brigitte Russ-Scherer nichts mehr, man möge doch daran denken, dass die Stadtverwaltung handlungsfähig bleiben müsse. Die Mehrheit von CDU, UFW, WUT, FL und TÜL/PDS, die sich selber auf nichts Konstruktives einigen konnte, war nicht bereit, das Kompromiss-Paket von AL, SPD und FDP per Stimmenthaltung hinzunehmen (siehe auch das ÜBRIGENS und "Neuer Etat-Anlauf im Januar").
Die Ausgangslage für die Endrunde im Poker um den Etat 2004 war schwieriger als je zuvor. "Angesichts der katastrophalen Finanznot der Kommunen," meinte dazu FDP-Rat Dietmar Schöning, "sind wir in Tübingen mit unserer Aufgabe genauso überfordert wie alle anderen Städte." Und niemand widersprach. Was die diesjährige Etat-Runde im Rathaus aber zusätzlich komplizierte, das war die Entschlossenheit aller Fraktionen, sich nur ja auf keinen als faul erachteten Kompromiss einzulassen. Zu diesem Zweck wurden frühzeitig "Knackpunkte" (wir berichteten) definiert, die die Konflikt-Positionen unvereinbar weit aufspreizten.
Deshalb sondierten die Fraktionen - mühsam dirigiert von Chefmoderator Schöning - am Donnerstag zunächst nur minenfreies Gelände. Zwei Stunden lang handelten sie hinter verschlossener Tür eine ganze Reihe von Nachbesserungen aus. Per Saldo hätten diese Korrekturen das Defizit im Verwaltungsetat um 580 000 Euro verringert, allerdings nur auf dem Papier. Tatsächlich, und das wurde von allen offen eingeräumt, handelte es sich bei den vereinbarten Änderungen überwiegend um Haushaltskosmetik: Man setzte auf einigen Positionen die Einnahmen höher an und verschob einen großen Ausgabebrocken, den mit 850000 Euro gefüllten Topf für die Gebäudeunterhaltung, der regulär in den Verwaltungsetat gehört, in den Vermögenshaushalt.
Auf diesem Weg kamen immerhin sieben Fraktionen (die drei Stadträte der TÜL/PDS waren bereits draußen) ein Stück weit voran - bis zum ersten "Knackpunkt": Als die Unterhändler von CDU, UFW und WUT mehr oder minder entschieden darauf beharrten, dass sie bei der geplanten Erhöhung der Grundsteuer nicht mitspielen würden, wurden sie kurzerhand aus dem Saal komplimentiert.
Draußen standen sie dann ziemlich ratlos im Abseits - und handlungsunfähig. Zum einen, weil sich auch CDU. UFW und WUT an ihren Knackpunkten (insbesondere wollte die WUT unter keinen Umständen das WIT-Kapital für die Belebung von Gewerbebrachen antasten) nicht einigen konnten. Und zum anderen, weil die drei bürgerlichen Fraktionen selbst bei einer Verständigung mit ihren 22 Stimmen keine Aussicht auf eine Mehrheit (25 Stimmen) hatten.
Die übrigen Fraktionen, AL, SPD, FL und FDP, verhandelten unverdrossen weiter, bis Schöning schließlich um 20.30 Uhr ein gemeinsames Antragspaket präsentieren konnte. Der zentrale Kompromiss in diesem Papier: eine Steigerung des Grundsteuer-Hebesatzes von 410 auf 450 Prozent, was der Stadtkasse zusätzliche Einnahmen von etwa einer Million Euro bringen sollte - mithin 1,2 Millionen Euro weniger, als die Oberbürgermeisterin mit einem Hebesatz von 500 Prozent angepeilt hatte.
Das Problem bei diesem Vorschlag: AL, SPD, FL und FDP brachten es zusammen mit OB Russ-Scherer nur auf 24 Stimmen, waren also darauf angewiesen, dass sich im anderen Lager mindestens zwei Stadträte um des lieben Weihnachtsfriedens willen aus der Abstimmung raushalten.
Gerüchteweise hatten sich die Koalitionäre auch schon ein paar Wackelkandidaten ausgeguckt. Doch bevor deren Fraktionstreue ernsthaft getestet werden konnte, brach das von Schöning formierte Bündnis abrupt zusammen. Zur Überraschung von Freund und Feind erklärte FL-Sprecher Joachim Gellert, seine Fraktion fände sich in dem Kompromiss-Papier nicht wieder und könne deshalb nicht zustimmen. Den Ausschlag für den Rückzug der FL so war hinterher zu erfahren, gaben letztlich jene 15000 Euro, die von der Koalition für den Theatersommer bewilligt wurden.
Damit war auch die letzte Chance dahin, den rund 150 Millionen Euro schweren Etat 2004 noch in diesem Jahr unter Dach und Fach zu bringen. Da halfen selbst flehentliche Appelle nichts mehr. Die Bitte der Oberbürgermeisterin, man möge den vorgetragenen Kompromiss aus "Verantwortung für die Stadt" per Stimmenthaltung durchgehen lassen, prallte an den Neinsagern ebenso ab wie die Warnung, die Stadtverwaltung werde ohne Etat-Beschluss auf wichtigen Feldern handlungsunfähig.
Auch Finanzbürgermeister Eugen Höschele hatte kein Glück mit seinem Vorstoß. Der CDU-Mann wünschte sich von seinen Parteifreunden im Rat, dass sie das grün-rot-gelbe Minderheitsvotum "wenigstens bis zu den nächsten Kommunalwahlen" akzeptieren - und erntete damit nur amüsierte bis spöttische Kommentare. Am Ende wurde der einzige zur Debatte gestellte Kompromiss-Vorschlag mit 26 Nein-Stimmen von CDU, UFW, WUT, FL und TÜL/PDS abgeschmettert. AL, SPD, FDP und OB brachten es (bei drei Enthaltungen aus den Reihen der FL und WUT) nur auf 20 Ja-Stimmen.
Sepp Wais
An den Knackpunkten zerbrochen
TÜBINGEN. Fünf Stunden lang rangen die Tübinger Ratsfraktionen am Donnerstag in diversen Formationen um den finalen Haushalts-Kompromiss. Ohne Erfolg: Am Ende wurden die jeweiligen Frontlinien noch härter verteidigt als zuvor. Da nützte auch der Appell von OB Brigitte Russ-Scherer nichts mehr, man möge doch daran denken, dass die Stadtverwaltung handlungsfähig bleiben müsse. Die Mehrheit von CDU, UFW, WUT, FL und TÜL/PDS, die sich selber auf nichts Konstruktives einigen konnte, war nicht bereit, das Kompromiss-Paket von AL, SPD und FDP per Stimmenthaltung hinzunehmen (siehe auch das ÜBRIGENS und "Neuer Etat-Anlauf im Januar").
Die Ausgangslage für die Endrunde im Poker um den Etat 2004 war schwieriger als je zuvor. "Angesichts der katastrophalen Finanznot der Kommunen," meinte dazu FDP-Rat Dietmar Schöning, "sind wir in Tübingen mit unserer Aufgabe genauso überfordert wie alle anderen Städte." Und niemand widersprach. Was die diesjährige Etat-Runde im Rathaus aber zusätzlich komplizierte, das war die Entschlossenheit aller Fraktionen, sich nur ja auf keinen als faul erachteten Kompromiss einzulassen. Zu diesem Zweck wurden frühzeitig "Knackpunkte" (wir berichteten) definiert, die die Konflikt-Positionen unvereinbar weit aufspreizten.
Deshalb sondierten die Fraktionen - mühsam dirigiert von Chefmoderator Schöning - am Donnerstag zunächst nur minenfreies Gelände. Zwei Stunden lang handelten sie hinter verschlossener Tür eine ganze Reihe von Nachbesserungen aus. Per Saldo hätten diese Korrekturen das Defizit im Verwaltungsetat um 580 000 Euro verringert, allerdings nur auf dem Papier. Tatsächlich, und das wurde von allen offen eingeräumt, handelte es sich bei den vereinbarten Änderungen überwiegend um Haushaltskosmetik: Man setzte auf einigen Positionen die Einnahmen höher an und verschob einen großen Ausgabebrocken, den mit 850000 Euro gefüllten Topf für die Gebäudeunterhaltung, der regulär in den Verwaltungsetat gehört, in den Vermögenshaushalt.
Auf diesem Weg kamen immerhin sieben Fraktionen (die drei Stadträte der TÜL/PDS waren bereits draußen) ein Stück weit voran - bis zum ersten "Knackpunkt": Als die Unterhändler von CDU, UFW und WUT mehr oder minder entschieden darauf beharrten, dass sie bei der geplanten Erhöhung der Grundsteuer nicht mitspielen würden, wurden sie kurzerhand aus dem Saal komplimentiert.
Draußen standen sie dann ziemlich ratlos im Abseits - und handlungsunfähig. Zum einen, weil sich auch CDU. UFW und WUT an ihren Knackpunkten (insbesondere wollte die WUT unter keinen Umständen das WIT-Kapital für die Belebung von Gewerbebrachen antasten) nicht einigen konnten. Und zum anderen, weil die drei bürgerlichen Fraktionen selbst bei einer Verständigung mit ihren 22 Stimmen keine Aussicht auf eine Mehrheit (25 Stimmen) hatten.
Die übrigen Fraktionen, AL, SPD, FL und FDP, verhandelten unverdrossen weiter, bis Schöning schließlich um 20.30 Uhr ein gemeinsames Antragspaket präsentieren konnte. Der zentrale Kompromiss in diesem Papier: eine Steigerung des Grundsteuer-Hebesatzes von 410 auf 450 Prozent, was der Stadtkasse zusätzliche Einnahmen von etwa einer Million Euro bringen sollte - mithin 1,2 Millionen Euro weniger, als die Oberbürgermeisterin mit einem Hebesatz von 500 Prozent angepeilt hatte.
Das Problem bei diesem Vorschlag: AL, SPD, FL und FDP brachten es zusammen mit OB Russ-Scherer nur auf 24 Stimmen, waren also darauf angewiesen, dass sich im anderen Lager mindestens zwei Stadträte um des lieben Weihnachtsfriedens willen aus der Abstimmung raushalten.
Gerüchteweise hatten sich die Koalitionäre auch schon ein paar Wackelkandidaten ausgeguckt. Doch bevor deren Fraktionstreue ernsthaft getestet werden konnte, brach das von Schöning formierte Bündnis abrupt zusammen. Zur Überraschung von Freund und Feind erklärte FL-Sprecher Joachim Gellert, seine Fraktion fände sich in dem Kompromiss-Papier nicht wieder und könne deshalb nicht zustimmen. Den Ausschlag für den Rückzug der FL so war hinterher zu erfahren, gaben letztlich jene 15000 Euro, die von der Koalition für den Theatersommer bewilligt wurden.
Damit war auch die letzte Chance dahin, den rund 150 Millionen Euro schweren Etat 2004 noch in diesem Jahr unter Dach und Fach zu bringen. Da halfen selbst flehentliche Appelle nichts mehr. Die Bitte der Oberbürgermeisterin, man möge den vorgetragenen Kompromiss aus "Verantwortung für die Stadt" per Stimmenthaltung durchgehen lassen, prallte an den Neinsagern ebenso ab wie die Warnung, die Stadtverwaltung werde ohne Etat-Beschluss auf wichtigen Feldern handlungsunfähig.
Auch Finanzbürgermeister Eugen Höschele hatte kein Glück mit seinem Vorstoß. Der CDU-Mann wünschte sich von seinen Parteifreunden im Rat, dass sie das grün-rot-gelbe Minderheitsvotum "wenigstens bis zu den nächsten Kommunalwahlen" akzeptieren - und erntete damit nur amüsierte bis spöttische Kommentare. Am Ende wurde der einzige zur Debatte gestellte Kompromiss-Vorschlag mit 26 Nein-Stimmen von CDU, UFW, WUT, FL und TÜL/PDS abgeschmettert. AL, SPD, FDP und OB brachten es (bei drei Enthaltungen aus den Reihen der FL und WUT) nur auf 20 Ja-Stimmen.
Sepp Wais